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auf und lesen die Canzone des Chiaro Davanzati: Amore io non mi doglio, wo alles Liebesschmachten ins Auge konzentriert ist, oder das merkwürdige und eindrucksvolle Visionsgedicht: La mia amorosa mente. Wie ein leuchtender Edelstein blinkt dem Dichter das Bild seiner Frau ins Gesicht, und das trunkene Auge will sich selbst zum Schlaf nicht wieder schließen.

Die Sizilianer haben mit verblüffender Treue dem provenzalischen Minnelied das Echo gesungen; nur da der italienische Wohllaut jenen bekannten Tönen noch einen helleren und offeneren Klang von Sinnenfreude mitzuteilen scheint. Eben der Umstand, daß die fiktive Welt des Troubadours in Süditalien kaum eine nennenswerte Änderung erfuhr, verbürgt es uns, daß die Lebensauffassung am schwäbischen Hof sich in vielen Punkten mit derjenigen der Troubadours berührte. Hier wie dort die Emanzipation der Sinne und eine gewisse philosophische Selbständigkeit, die sich auch nicht scheut, zuweilen in bewußten Gegensatz zu den kirchlichen Anschauungen zu treten1; und hier sogar noch stärker, noch ausschließlicher als dort das Bedürfnis, sich aus dem Drangsal der Wirklichkeit hinweg in ein erotisches Arkadien hineinzusingen. Die Dichtung ward darum zunächst noch ärmer und schablonenhafter unter der orientalischen Tyrannis des Staufenkaisers und sie wäre auf diesem Wege rasch zugrunde gegangen, wenn

1 Die aufklärerischen Bestrebungen Friedrichs des II. sind gar zu bekannt, als daß wir sie darzustellen brauchten. Was seinen Sohn Manfred betrifft, so mag es genügen, an die herrlichen Worte zu erinnern, die er der Übersetzung der pseudoaristotelischen Schrift De Pomo vorausschickte, und die eine beinahe antike Wertschätzung der Philosophie verraten. Man findet den einschlägigen Passus mehrfach veröffentlicht: Schirrmacher, Die letzten Hohenstaufen, Göttingen 1871, S. 622ff., u. Fr. Torraca, Studi sulla lirica italiana del Duecento, Bologna 1902, S. 247 ff.

nicht jener kleine, wertvolle philosophische Keim, den schon die Provenzalen in den erschöpften Garten ihrer Lyrik gesenkt hatten, mit einemmal frisches Reis getrieben hätte. Es ist die philosophische Aufklärung, es sind Averroes und Aristoteles, die der hinsterbenden italienischen Kunstdichtung mit neuen Gedanken zu Hülfe kamen. Diese philosophische Wiederbelebung der schönen Literatur in Italien bildet das eigentliche Thema unserer Untersuchung.

Bevor wir es anfassen, empfiehlt es sich, noch einen Blick auf die Volksdichtung zu werfen, in der man die zweite und zwar meist die wertvollere Kraft zu erblicken pflegt, die neues Leben in die italienische Lyrik hereintrug. Hier tritt uns eine folgenschwere Streitfrage entgegen: sind die volkstümlichen Stücke der Sizilianer einheimisch, oder sind es, wie Jeanroy will, kunstmäßige Nachbildungen französischer Volkslieder? Die meisten Gründe Jeanroys sind überzeugend, und man darf kaum noch zweifeln, daß alles, was der Codex Vaticanus 3793 enthält auch die Rosa fresca von Kunstpoeten stammt. Wir hätten also hier dieselbe Erscheinung, die uns, beispielsweise, aus der deutschen Literatur geläufig ist: italienische Minnesänger, die, geradeso wie unser Neidhart von Reuental tat, die Lieder des Volkes scherzend nachbilden. Sogar noch die Dichter des , neuen Stils gefielen sich in solchem Zeitvertreib, wie uns die Pastorelle des Guido Cavalcanti schlagend beweist.

Aber und diesen Punkt hat Jeanroy vielleicht nicht genügend hervorgehoben: damit es einem Kunstdichter in den Sinn komme, den Volksgesang nachzu

1 A. Jeanroy, Les Origines de la poésie lyrique en France, Paris 1889, S. 233 ff. Genauer orientiert über die Streitfrage die italienische Bearbeitung des betreffenden Kapitels aus Jeanroy: la lirica francese in Italia nel periodo delle origini, traduzione ... con note e introduzione di G. Rossi, Heft 18 in Torracas Bibliot. critica, Florenz 1897.

ahmen, muß ein solcher in seiner nächsten Umgebung vorhanden sein. Nun ist es freilich nicht zu leugnen, daß die populären Stücke der sizilianischen Schule nicht etwa die Formen und Motive des italienischen, sondern in der Hauptsache wohl die des französischen Volkslieds wiedergeben. Diese Tatsache aber selbst wenn man sie in weiterem Umfange anerkennt, als wir es geneigt sind zu tun beweist noch lange nicht, daß in Italien überhaupt kein einheimischer Volksgesang existiert habe. Im Gegenteil. Sicher ist meines Erachtens nur die Beobachtung, daß die sizilianischen Troubadours, sobald sie volksmäßig werden wollten, unwillkürlich den Ton der französischen oder provenzalischen Neidharte annahmen, weniger denjenigen der Bauernburschen und -Dirnen ihres eigenen Landes. Sie sahen das Volkslied durch das Prisma französischer Formen. Etwas Ähnliches wiederholt sich noch immer vor unsern Augen: wieviele moderne Dichter haben doch ihren volkstümlichen Habitus aus Goethe, aus Heine oder aus dem mühsam entzifferten Nibelungenlied oder gar aus französischen Chansonetten geholt, anstatt aus deutschen Dörfern. Der Verfasser der Rosa fresca hat aber nebenbei auch, was Jeanroy ihm übrigens gerne zugesteht ein feines Ohr für das sizilianische Volkslied behalten und vor allem hat er ihm seine sdruccioli abgelauscht. Daß die Strophenform und meinethalb auch der Alexandriner ihm von auswärts kam, können wir dem französischen Gelehrten zur Not noch zugestehen, der proparoxytonische Reihenschluß aber ist keine Sache, die man so schlechtweg erfindet und sich selbst zur Regel macht", er ist ein grundlegendes prosodisches Prinzip, das aus vulgärlateinischem und uritalienischem Boden stammt und das -- dank dem gallischen Einfluß - freilich noch lange genug gebraucht hat, um in der Kunstdichtung anerkannt zu werden. 1

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1 Die vereinzelten und oft zweifelhaften Fälle von Sdruccioli

Wir glaubten zur Streitfrage der sizilianischen Volksdichtung eine entschiedene Haltung gewinnen zu müssen, weil es für unsere Untersuchung von wesentlichem Belang ist festzustellen, daß bei den höfischen Dichtern auch die unverhüllte und plebeische Sinnlichkeit anerkannt und gesungen wurde. Und zweifellos ist es so. Die Sizilianer haben sogar die niedere und ganz niedere Minne viel besser verstanden und viel aufrichtiger gesungen als die höfische. Nichts ist so echt bei ihnen wie die Sinnenfreude, aber, wohlgemerkt, die naive, die gedankenlose, die animalische. Sie kann zuweilen freilich zur offenen Auflehnung gegen alle sittlichen und religiösen Schranken führen: Rinaldo d'Aquino läßt das Mädchen, dessen Geliebter das Kreuz genommen hat, ausrufen:

La croce salva la gente

E me fa disviare.

La croce mi fa dolente,

Non mi val Dio pregare,1

und ein anderer versichert sogar seine Geliebte, freilich in weniger volkstümlichem Ton:

Si forte mio Dio siete

Che d'altro paradiso

Giamai non metto cura;
'Sovrana ni parete,

Quando voi miro in viso,
D'ogn'altra criatura 2

und selbst der wackere Guittone von Arezzo versteigt sich wir wollen zu seinen Gunsten annehmen, es sei

in der ältesten Kunstlyrik sind zusammengestellt von L. Biàdene, La Rima nella canzone itatiana dei sec. XIII e XIV in der Raccolta di Suddii critici dedicata ad A. D'Ancona, Florenz 1901, S. 736 ff.

1 Antiche Rime Volgari, I, S. 91.

2 ibid. I, S. 513.

in einer Anwandlung gedankenloser Galanterie geschehen - zu der Behauptung:

Così v'ò 1 core, e'l senno e'l voler puro,

Ch'en ubrianza ò meve stesso e Deo.

Voi me' Deo sete e mea vita e mea morte:

Chè s'eo so' en terra o in mare

En periglioso afare,

Voi chiamo com' altri fa Deo,

Tantosto liber mi veo.1

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Die Sinnlichkeit an und für sich aber, mag sie noch so ungebärdig tun, ist noch lange kein philosophisches Element. Sie wird es erst durch den Zusatz der Reflexion, indem man anfängt, sie prinzipiell zu entschuldigen, zu begründen und zu verteidigen. Ich halte es darum für durchaus verfehlt, wenn Adolfo Bartoli die Vorläufer der Renaissance in den ausgelassenen Parodien, in den Trink- und Liebesliedern der Goliarden oder in den Unflätigkeiten der Fabliaux-Dichter sucht. All das ist nur Karneval und manchmal auch sittlicher Zerfall, Dinge, die sich mit dem Mittelalter und mit der Kirche zu Zeiten auch ganz gut vertragen, die aber den menschlichen Gedanken keinen Schritt weit vorwärts bringen. Im Gegenteil, sie dienten geradezu als Sicherheitsventile für den asketisch-transzendentalen und kirchlichen Hochdruck im großen Kessel des Katholizismus man verzeihe uns das häßliche Bild. Man darf sich durch den hohen poetischen Wert dieser sinnenfrohen Dichtungen nicht verführen lassen, ihnen auch einen philosophischen Wert beizumessen. Es sind zunächst viel cher die verschrobenen und gequälten Lieder, in denen sich aufklärerische Elemente finden.

ibid. II, S. 141f., und Le Rime di Fra Guittone d'Arezzo, ediz. Pellegrini, Bologna 1901, S. 240f.

A. Bartoli, I precursori del Rinascimento, Florenz 1877, u. Storia della lett. ital., vol. I, Florenz 1878.

Voßler, Philosophische Grundlagen.

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