besonderen Dichtungsform und keines besonderen Standes mehr bleiben. Die Kanzone ist von einer inhaltlichen zu einer stilistischen Kategorie herabgesunken, und die bedeutendste Neuschöpfung der Italiener, das Sonett, wird bald zu jener echt demokratischen Münze geprägt, die durch allerhand Hände geht und den Austausch der Gedanken und Gefühle in merkwürdigster Weise beschleunigt. Wir fassen zusammen: Die Emanzipation der Frau hat zunächst in dem Lande der feinsten Kultur: in der Provence stattgefunden und war auch dort erst in einer abgeschlossenen und bevorzugten Kaste möglich. Diese Kaste baute sich alsbald ihre eigene Ethik auf Grund des Minnedienstes auf und senkte damit den ersten philosophischen Keim in ihre Liebeslyrik. Mit dieser Dichtung vollzog sich nun in der sizilianischen Schule eine neue Wandlung: vor allem war es bald nicht mehr der Ritter allein, sondern auch der Bürger, der sie vertrat. Hand in Hand mit der sozialen Vermischung ging die poetische. Zugleich aber akzentuierte sich mehr und mehr eine andere Scheidung, eine innere in hohen und niederen, esoterischen und exoterischen Minnesang. Der philosophisch-allegorische Geist des Zeitalters drängte allerseits darauf hin. Die Standesunterschiede wurden zu Bildungsunterschieden, die sozialen Grenzen zu philosophischen vertieft und erweitert. Die Adelsfrage. Nachdem man dem Geburtsadel gegenüber gleichgültig geworden ist, fängt man an, auf den Seelenadel zu achten; nachdem die viel verhandelte Adelsfrage in Italien aufhörte, eine scziale zu sein, fing sie begreiflicher-. weise an, eine philosophische zu werden. Ihre allmähliche Entwicklung läßt sich in ihren wichtigsten Phasen bis auf die berühmte Kanzone Dantes genau verfolgen. Natürlich wird sich der Fortschritt des Gedankens dabei nicht immer mit der chronologischen Folge der schrift lichen Zeugnisse decken, da es jederzeit auch verspätete Denker gegeben hat. Die Frage ist in der höfischen Dichtung entstanden aus dem praktischen und oft sich wiederholenden Falle, daß ein nieder gestellter Troubadour sich um die Liebe einer höher gestellten Dame bewarb. Da besagte nun der peinliche Ehrenkodex, daß es dem Manne zwar keinen Abbruch tue, unter seinem Stande zu lieben, wohl aber der Frau; es sei denn daß ihr niedergeborener Liebhaber durch persönlichen Wert sich auszuzeichnen verstele. Si plebeius nobilioris quaerat amori coniungi, multa ipsum oportet nobilitate gaudere. Nam ut plebeius nobilioris feminae dignus inveniatur amore, innumerabilibus oportet eum bonis abundare, convenitque, ut infinita ipsum bene Vgl. Salvemini, La dignità cavalleresca nel Comune di Firenze, Florenz, Ricci, 1896. facta extollant. Verecundum namque nimis nobili videtur mulieri exsistere et in eius plurimum contumeliam redundare, si inferioris ordinis sibi deposcat amorem, superiori et medio praetermissis ordinibus, nisi morum probitas supereffluente valeat penso nobilitatis compensationem inducere." 1 Das klingt wie eine Herausforderung an den Scharfsinn der Troubadours, sich in Subtilitäten über das Wesen des Adels zu ergehen. Man lese nur, wie der französische Kaplan den Plebeius“ zur „Mulier nobilis reden läßt, oder wie die Frage im Partimen behandelt wird: Perdigos, ses vassallage sai cavailliers e baros, e digatz m'al vostre semblan, Natürlich entscheidet man zu gunsten des Niedergeborenen, und die Hauptargumente dafür lauten: pos d'un paire son tut l'enfan." Hier berührt sich die an und für sich ästhetische und aristokratische Ethik der Troubadours mit dem evangelischen und demokratischen Geist der Waldenser. Wie diese an Stelle der priesterlichen Amtsautorität den 1 A. Capellanus, a. a. O., S. 53f. • Appel, Provenzalische Chrestomathie, Nr. 95. inneren Wert der Gesinnung setzen1, so wird vom Troubadour an Stelle des Feudaladels der Seelenadel gestellt. Aber es war nicht allein das Liebesleben, das den Troubadour zu solchen Anschauungen führte. Die abwechselnde Berührung mit Fürsten und Volk, das Aufkommen der Städte, die Reibungen zwischen Bürger und Adel mußten besonders den Troubadour, der sich in einem fortwährenden Auf und Ab zwischen den gesellschaftlichen Gegensätzen umhertrieb, zu ähnlichen Betrachtungen führen. Kaum ein Anderer mochte so reichlich Gelegenheit gehabt haben, die Verderbnis des Adels und den Wert der Bürger kennen zu lernen, wie Sordello aus Mantua. Er hat seine diesbezüglichen Erfahrungen niedergelegt in den Versen: Dos n'i a, que natura forsan Per qu'esser deja al mon grazitz. 1 Die diesbezüglichen Lehren der Waldenser lassen sich zusammenfassen in die Sätze: Magis operatur meritum ad consacrandum quam ordo vel officium, und: Item dicunt nullam esse sanctitatem nisi in bono homine vel muliere. Zitiert nach F. Tocco, L'Eresia nel medioevo, S. 178 u. 179, Anm. Donx non pot om dir que noblesa Quel gentilz es soven malvatz, Pos lo poders al cor li faill, Cel, que a mais que noil conve. Per zo fora drehz e razos Qu'a igal del cor lo poders fos: Pero, qui fai gen son poder, Dieus nil monz noil deu plus querer: Tan pauc n'i a, quel fazan ara!! Die letzten Verse berühren einen wunden Punkt im Gewissen jener Zeit: die ungerechte Verteilung der Glücksgüter, das Warum? des vielen unverdienten Unglücks, die Ursache des Bösen in der Welt schon damals ein Hauptproblem der Aufklärungsphilosophie, wie es auch im 18. Jahrhundert wieder ein Hauptproblem geworden ist. 1 Ces. De Lollis, Vita e Poesie di Sordello di Goito, Halle 1896, S. 224f. Eine Klage, die in den moralischen Sirventen sehr häufig wiederkehrt. Parallelen bei De Lollis, a. a. O., S. 74f. u. Levy, Guillem Figueira, S. 105. |