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Seitdem 1585 ein eigner Stand der nobles geschaffen war, zu dem nur die gehörten, deren Väter schon in einem der beiden Räthe gesessen hätten 1), gelang es höchst selten einem homo novus Zutritt zu den höheren Staatsämtern zu erlangen. Schließlich wird, wie aus den Protokollen des Rathes hervorgeht, ein förmliches Recht des Sohnes auf den Platz des Vaters anerkannt 2). Da nun die vornehmen Familien von Genf meist untereinander heirateten, saßen im kleinen Rath nur Verwandte. Einmal war es nicht möglich, daß der kleine Rath über eines seiner Mitglieder zu Gericht saß. Denn wenn, wie es gesetzlich vorgeschrieben war, alle Vettern, Brüder, Oheime 2c. des Angeklagten nicht an der Verhandlung theilnahmen, wären nur noch 3 Richter übrig geblieben 3). Da diese herrschende Aristokratie sich dem Volke gegenüber sehr hochmüthig benahm und die alte strenge Klasseneintheilung, welche durch genau vorgeschriebene Kleidung zum Ausdruck gebracht werden sollte 4), aufrecht zu erhalten suchte, fühlten sich die Bürger häufig durch das väterliche Regiment des Rathes in ihrem Stolze gekränkt. Kam es doch vor, daß einem Vornehmen, der Schüßenkönig geworden war, mehr Ehre erwiesen wurde, als einem geringen Mann, der dieselbe Würde erlangte. Das machte dann böses Blut. Bei dem wachsenden Wohlstande fühlten sich die Bürger mehr und mehr berufen, an der Regierung theil zu nehmen. Als daher 1707 einige Bürger vor den Rath gerufen wurden und man sie fragte: „Warum gehorcht ihr nicht dem Rath, dem Vater des Volkes ?" antworteten sie, mündige Kinder brauchen den Vater nicht mehr 5), eine Ansicht, die auch Rousseau vertreten hat. Der Rath kam aber den Wünschen der Bürgerschaft keineswegs entgegen, sondern suchte seine Macht auf alle Weise zu erweitern. Nachdem 1707 der Anführer der Bürger, 1) Picot a. a. D.

2) Grenus, fragments biographiques et historiques de la république de Genève 1815. Es heißt 1714, ein Lefort gibt seine Demission zu Gunsten seines Bruders, ein anderer ist wählbar en considération des mérites de son pére.

3) Révolutions d. G. p. 31.

4) Gaberel, histoire de l'église de Genève 3, 56.
5) Bérenger 3, 62.

Fatio, hingerichtet worden war, „weil er fortgefahren habe gegen die Beamten zu murren", wurde 1712 die Pflicht des Rathes, den conseil général alle 5 Jahre zu berufen, abgeschafft. Es wurde der Weisheit des Rathes überlassen, den richtigen Zeitpunkt zu finden. Dieser richtige Zeitpunkt fand sich aber selten, denn wie Rousseau sagt, „diese Volksversammlungen, die der Schuß der politischen Körperschaft sind und die Regierung im Zaum halten, sind immer der Schrecken der Staatshäupter gewesen“ 1). Darum fordert Rousseau, daß es feststehende Termine gebe, an denen das Volk kraft eigenen Rechtes sich versammelt (assemblées juridiques par leur seule date).

Mußte aber der conseil général doch zusammengerufen werden, so fanden sich Mittel genug, die Abstimmungen zu beeinflußen. Schon die merkwürdige Art und Weise, wie dieselben vor sich gingen, gestattete dies. Zwei Sekretäre gingen umher und jeder Bürger mußte ihnen in's Ohr sagen, wie er stimmte. Einmal also konnte das Votum jedes einzelnen genau kontrolirt werden, und war das Resultat doch nicht zufriedenstellend für den Rath, so konnten sich die Sekretäre, die ja auch der Aristofratie angehörten, leicht irren. Wenigstens wird behauptet, im Jahre 1712 habe der Rath beschlossen, man solle die Sache der Klugheit der Sekretäre überlassen, je nachdem sie sehen würden, daß die Abstimmung sich nach der einen oder andern Seite neige. Auffallend ist allerdings, daß nach der heftigsten Opposition die Vorschläge des Rathes so oft mit großer Stimmenmehrheit genehmigt wurden. Um dem vorzubeugen, hattte man schon im Beginn des 18. Jahrhunderts geheime Abstimmung gefordert (à la balotte). Auch Rousseau meint, wenn das Volk einmal verdorben wäre, sei die geheime Abstimmung ein Mittel, den Untergang des Staates zu verzögern 3).

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Aus diesem scharfen Gegensah, in dem Regierung und Unterthanen in Genf zu einander standen, erklärt sich, weshalb Rousseau gegen jede Regierung mißtrauisch zu sein lehrt. Jede

1) Contrat social 3, 15.
2) Révolutions d. G. p. 65.
3) Contrat social 4, 4.

Regierung ist zu Übergriffen geneigt, ') jede ist im Grunde nur ein Nothbehelf, weil das Volk sie nicht als ganzes ausüben kann; je weniger Personen die Regierung haben, desto mehr bringt dieselbe ihren eigenen Willen, der auf persönlichen Vortheil gerichtet ist, zur Geltung 2). Die Regierung eines einzelnen kann daher gar nicht gut sein. Um so nothwendiger ist es, fortwährend auf die Regierung aufzupassen; jede Regierung ist nur provisorisch eingesezt und kann jeden Augenblick durch eine andere ersetzt werden.

Bei diesen Grundsähen ist es nicht überraschend, wenn Rousseau, als sich die Genfer Regierung gegen ihn selbst wendet, dieselbe auf das schärfste angreift. In den lettres de la montagne vom Jahre 1764 heißt es: die Bürger sind Sklaven einer willkürlichen Macht, sie sind ohne Vertheidigung der Gnade von 25 Despoten (den Mitgliedern des kleinen Rathes) preisgegeben. In der Theorie habt ihr alle Rechte, seid Gesezgeber, Souverän, entscheidet über Krieg und Frieden, aber in Wirklichkeit werden die Geseze von dem Rath ausgelegt, die Souveränetät ist beschränkt, ist also keine, die Wahlen sind eine bloße Ceremonie, die Exekutive ist gegen alle Vernunft Herrin der Legislative.

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Dies gegen alle Vernunft" ist bezeichnend. Rousseau konnte, wenn er die wirklich bestehende Verfassung von Genf betrachtete, derselben immerhin einige Vorzüge zuerkennen, wie wir oben sahen. Sobald aber das Verhältnis dieser Verfassung zu der von der Vernunft im contrat social geforderten, in's Auge gefaßt wird, dreht sich die Sache um. Alle einzelnen Bestimmungen der bestehenden, das heißt der 1738 festgestellten Verfassung find im Grunde ungültig, sobald sie den von den Bürgern vertheidigten von Rousseau theoretisch begründeten widersprechen.

So kann die Verfassung von Genf, wie sie sein sollte, für Rousseau ein Ideal sein; zugleich aber kann er auch den Widerspruch, der zwischen diesem Ideal und der Wirklichkeit hervortritt, tadeln. Dies Ideal aber in die Wirklichkeit zu übertragen, übernahm die französische Revolution.

1) Contrat social 3, 18.

2) Ebenda 3, 2. 15.

IV.

Das Archiv des Fürsten Woronzow. 1)

Von

Alexander Brückner.

Es ist bereits wiederholt darauf hingewiesen worden, daß auf dem Gebiete der russischen Geschichtsforschung die Verarbeitung des histo= rischen Materials nicht Schritt zu halten vermöge mit der Beschaffung neuer Quellen. Man staunt über die Fülle von Aktenstücken und Briefen, welche meist aus dem 18. Jahrhundert stammen und während des letzten Vierteljahrhunderts durch bändereiche Editionen der historischen Forschung zugänglich gemacht worden sind. Damit steht denn die Ausnüßung solcher Schäße für die eigentliche historische Forschung in gar keinem Verhältnis. Es ist, als lasse jemand, dessen Aufgabe doch der Häuserbau sein muß, ganze Berge von Balken, Ziegeln, Kalk und Mörtel herbeischaffen, ohne hinterdrein davon Gebrauch zu machen. Man muß fürchten, daß so umfangreiche Vorräthe an Baumaterial ihren eigentlichen Zweck verfehlen und durch ihre nicht mehr zu bewältigende Masse den Häuserbau erschweren statt ihn zu fördern. Während das Rohmaterial in ungeheuern Haufen zusammenzuschleppen die regelmäßige Aufgabe zu sein scheint, geht man nur ausnahmsweise an die Verarbeitung eines verschwindend kleinen Theiles derselben.

Eine derartige Unverhältnismäßigkeit zwischen dem Sammeln und Verarbeiten historischen Materials erklärt sich, wie uns scheinen will, in erster Linie aus dem Umstande, daß das Druckenlassen vieler Bände von Akten und Briefen, zumal in der Weise, wie das bei dem Material der neueren Geschichte Rußlands zu geschehen pflegt, sehr viel

1) Dreißig Bände. Moskau 1870-1884.

weniger Vorbereitung und Arbeitskraft vorausseßt, als eine wissenschaftliche Untersuchung, die Abfassung einer Monographie. Die Hauptarbeit bei der Edition von Rohmaterial übernehmen die Abschreiber, die Sezer und die Korrektoren. Der Historiker seßt seinen Namen als Fabrikmarke darauf und das Buch oder ein ganzes Dußend von Büchern ist ganz schnell fertig. So erklärt sich die verhältnismäßig mühelose Herstellung der Editionen mancher historischer Gesellschaften, einiger historischer Zeitschriften und auch des umfassenden Sammelwerkes, auf welches wir in dem Folgenden hinweisen. So geschieht es aber auch, daß neben sehr werthvollen, inhaltreichen, wesentlichen, Neues, Orientirendes enthaltenden Akten und Briefen, sehr viel Unnüßes und Geringfügiges gedruckt wird. Die Sichtung und Kürzung des herauszugebenden Materials erfordert viel Arbeit und Zeit. Die mechanische Herausgabe ganzer Aktenstöße und Briefsammlungen ist viel bequemer und seht keine spezielle Vertrautheit mit dem Stoffe, feine allgemeine historische Bildung und technische Schulung voraus. Diese letteren Bedingungen finden sich schwerer als die Geldmittel, welche Druck und Papier ganzer Bibliotheken von Rohmaterial erfordern.

Die Verwerthung solcher umfangreicher Archivalien für die eigentliche Forschung wird durch geschickte Anordnung, übersichtliche Gruppirung, zusammenfassende Katalogisirung wesentlich erleichtert. Leider fehlen alle diese Erfordernisse in den meisten Fällen, so daß der Forscher sehr viel Zeit daran wenden muß, um sich in den ungeheuren Massen von bunt durcheinandergewürfeltem Material zurechtzufinden. Während die Herausgeber durch eine zweckmäßige Reihenfolge des Edirten, durch vollständige Inhaltsverzeichnisse und Register (nicht bloß Namen-, sondern auch Sachregister) den Specialforschern einigermaßen vorarbeiten, eine Art Halbfabrikat schaffen können, geschieht dergleichen bei den Editionen der neueren Geschichte Rußlands nur etwa ausnahmsweise.

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Troß aller solcher Mängel leisten derartige Sammelwerke der histo= rischen Forschung wesentlichen Vorschub. Ohne die Editionen der Kaiserlichen Historischen Gesellschaft, der Zeitschriften Rußlands Vorzeit" (Russkaja Starina) und „Rußlands Archiv“ wäre an eine Bearbeitung der neueren Geschichte Rußlands nicht leicht zu denken. So muß denn die Erschließung der Archive als eine sehr erfreuliche Thatsache bezeichnet

werden.

Und zwar sind es nicht bloß die Staatsarchive in Rußland, deren Schäße gehoben und durch Herausgabe einem großen Kreise von Forschern zugänglich gemacht werden. Auch in den Privatarchiven russischer

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