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Spekulation allein nicht mehr liegt. Aber diesen toten Weg der Spekulation geht ja heute auch nur die Verlegenheit1 derjenigen, die zwar spüren, aber nicht wissen und zugeben wollen, daß uns das nur naturwissenschaftliche Denken nicht weiterbringt; daß es zwar seinen notwendigen Platz und seine Bedeutung stets behält aber eben eine einseitige, relative und nur beschränkt tragfähige Bedeutung. Gerade von dieser alten naturwissenschaftlichen Generation haben. wir nun nicht nur die tausend stets dankenswerten Fakten und Feststellungen übernommen, sondern auch das gelernt: diese Fakten und Feststellungen wirklich,,objektiv" und klar zu betrachten. Diese müssen sämtlich und ohne einseitige Auswahl zu uns sprechen und an ihnen, in ihnen, durch sie hindurch spricht die Stimme des Lebens zu denen, die darauf kommt es an mit neu-offenem Sinn lauschen. Wir glauben dabei freilich nicht mehr an die Maxime aus dem demokratischen Zeitalter, daß Alles Allen beweisbar sei; nur so viel einer innerlich in allen Revieren menschlicher Fähigkeiten ist also nicht nur als Verstand! nur soweit und soviel wird er imstande sein, von denjenigen Dingen zu begreifen, die den tieferen Gebieten des Wissens angehören. Solchen aber, die wirklich objektiv - vor den seelischen Kräften nicht mehr das non possumus ergo negamus aufstellen, winkt schon heute ein unbegrenztes Neuland biologischen Sehens und Begreifens und Vermögens (gerade auch als Heilkunst 3). Es heißt für Jeder viel traditionell-schulmäßig Bewirktes in innerer Arbeit umorganisieren; denn noch steckt nicht nur die neue Wissenschaft, sondern stecken auch die neuen Wissenschaftler und Ärzte in allen Übergangsschwierigkeiten des Beginns. Das innere Bild von dem,,wie es ist", mangelt noch vieler Figuren, Farben und Linien, die aus dem inneren sich mühenden Spüren an Hand der Tatsachen erst in langer Arbeit das gesicherte lebensvolle und wahre Abbild entwickeln werden. Das kann nicht anders sein; das wissen auch diese Zeilen, die den Versuch unternehmen, eine Biologie des organischen Geschehens zu skizzieren: also eine gleichermaßen gerechte Einstellung der sog. psychischen wie der sog. physischen Komponenten. Sie wissen auch, daß die gewählte übliche Anlehnung der Darstellung an die Denkweise, die sich an Organsystemen orientiert, nur vorläufig sein kann. Was ein C. G. Carus noch konnte, ist heute, scheint es, fast unausführbar: nicht das Seelische nur gleichberechtigt in ein (freilich lebendig gemeintes!) Körperliches einzubeziehen, sondern beides ineinander verwoben aus gemeinsamer Quelle zu entwickeln *.

Dies muß vorerst unser Weg des Forschens und Fassens sein: in wirklich voraussetzungsloser Weise an die Tatsachen heranzugehen, welche experimentelle und klinische Beobachtung uns aufweisen. Wieviel von den Möglichkeiten und Gesetzmäßigkeiten des Lebens sich uns so offenbart, ist Sache des Fleißes und des Verstandes ebensosehr wie des inneren Offenseins und der formenden Kraft. Wer das weiß, wird Tadel, so sich nur zeigt, daß der Kritiker das innere

1 Eberso ist es bemerkenswert, wie aus solcher Insuffizienz stammender Affekt blindwütig machen kann: wenn ein bekannter Gelehrter jetzt die Philosophen ehrwürdiger Gestalt Hegel und Schelling in kompromittierender Weise beschimpfte. Die Möglichkeit solcher Akademievorträge erlaubt uns nicht, ohne scharfe Polemik zu schreiben!

2 Novalis:,,Der Sinn der Welt ist verloren gegangen, wir sind beim Buchstaben stehen geblieben und haben das Erscheinende über der Erscheinung vergessen."

3 Dies weiß und betont Krehl in seiner,,Pathologischen Physiologie“ immer stärker.

4 Ebenso fehlt es noch an Material wie Einblick in manche einzelne Gebiete psychophysischer Zusammenhänge, die deswegen gar nicht behandelt sind: z. B. Bluterkrankungen, Leber, manche Nervenkrankheiten (z. B. multiple Sklerose) u. a. m. Bei anderen, z. B. der Epilepsie, wissen wir gerade von den physiologischen Daten noch zu wenig Sicheres usw.

Wollen und Wagen verstanden hat, dankbar hinnehmen als Ansporn und als Zeichen, daß Andere auf dem gleichen Weg, Gott sei Dank, schon mehr vermögen und fordern!

B.

Nicht als wie ausgesprochen unfruchtbare gedankliche Spekulation, sondern als Gelegenheit, unsere Sehweise zu verdeutlichen, sollen dem berichtenden Teil ein par kurze geschichtliche Erwägungen vorangestellt sein.

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Im Bereich des abendländischen Denkens konnte das Verhältnis von Leib und Seele zu einem Verhältnis der Wechselwirkung und einer Frage nach deren Wie erst werden, als man die Seele vom Körper trennbar und verschieden sehen gelernt hatte. In der vorchristlichen Antike fehlte, grundsätzlich gesehen, die innerliche Voraussetzung für eine solche Fragestellung solange, bis das Einbeziehen der orphisch-asiatischen (ursprünglich gesetzlich bekämpften) Geheimlehren zugleich mit der denkerischen Verdünnung und Auflösung in den Lehren der Philosophen allmählich zu einer neuen Formel der letzten Dinge überleitete; zu Plato und Christus, zwischen welchen beiden die Zäsur der metaphysischen Umwendung liegt. In den Lehren der ionischen und vorsokratischen Philosophen finden wir denn auch die ersten Fragen und Antwortversuche über das Leibseeleproblem. Die Elementenlehre sei herausgegriffen, um die Antwort in ihrem entscheidenden Punkt zu charakterisieren. Der Gehalt dieser Elementenlehre ist nämlich selten richtig verstanden keineswegs ein erster unvollkommener Lösungsversuch moderner Fragestellung nach den Elementen", wie wir sie heute, rein stofflich, verstehen. Mit den vier Elementen meinten jene ionischen Philosophen keineswegs rein stoffliche Qualitäten, vielmehr ebensosehr,,Stoffliches" wie,, Seelisches"; Substanzielles wie Dynamisches waren in ihren Elementen als lebendigen Einheiten untrennbar verbunden. Von der spezifischen Potenz des Lebendigen, dem Dynamischen, zu abstrahieren, waren sie als Griechen weder imstande noch willens. Das begreifen der logische Verstand und die Gewohnheit der meisten Heutigen oft schwer; immer wieder begegnet man daher dem Fehler, daß man, getäuscht von den späterhin für ganz andere Inhalte übernommenen und deswegen meist unübersetzbaren Worten, vergiẞt, wie sehr die Alten mit ihren Worten ganz anderen Sinn verbanden, als er heute in ihnen lebt. Wie sehr schon der Zweck jener Systeme, die vom Leben handelten, ganz anders war als der späterer, drückt sich schon in ihrer Form aus; in der Form, die jeweilig so gewählt wird, wie sie dem inneren. Sinn und Suchen entspricht. Die Mehrzahl jener alten Philosophien ist in Rhythmen geschrieben; das heißt nicht, daß sie,,noch" oder „nur“ halbe Dichtung waren, sondern bedeutet ein sicheres Zeichen dafür, daß jenen Männern die rein logische Erkenntnis die in Prosa darstellt unvollkommen erschienen wäre, weil sie eben jene irrationalen Kräfte des Geschehens in Welt und Mensch im Werk mitbannen wollten. Und nicht auf die rein logische Überzeugung des Verstandes ihrer Schüler kam es ihnen an, sondern auch darauf, sich in den gesamten Menschen auf ganz anderen Wegen bildhaft hineinzubilden. So ist im ,,Element Feuer" nicht ein Stoff gemeint, ebensowenig wie in dem ,,Erde“,,,Wasser" oder,,Luft". Das Feuer ist auch nicht nur ein Verbrennungsvorgang, ist kein Prozeß allein, wie wir ihn verstehen. Im ,,Feuer" lebt ihnen. vielmehr als im greifbaren Vorgang, als in einem Bild zugleich das Verzehrende, das Prometheisch-Schaffende, das gefährlich-heilige Eingreifen einer Gewalt, die man göttlich-männlich-umschaffend nennen könnte.

Die Wesenheit Zeus der noch rein gestalthaft erlebenden Griechen wurde zum Element Feuer der mehr denkerisch konzipierenden Späteren. So lebt der Gehalt, den ehemals Hera baig, im tragend-dumpf-Gebärerischen, Schweren und Bergenden der Erde; wenn wir Scholle sagen, geben wir den Sinn vielleicht deutlicher wieder als mit Erde. Und so sind Wasser und Luft entsprechend gemeint.

Dies ist kein,,noch unvollkommenes Weltbild", sondern die griechische denkerische Lösung der griechischen Fragen ans Leben. Die Frage, was eine Zeit erklären will, was sie für Erklären hält, ist nicht die Frage des zu anderen Zeiten seine eigenen Probleme ordnenden Verstandes. Ein lehrerhaftes,,Richtig“ oder,,Falsch" gibt es da ebenso wenig wie in Fragen der Kunst oder des Kults. Ein Widerlegen gibt es deswegen heute so wenig wie damals, sondern nur einen Wandel1.

Die antike, bzw. antikisierende Elementenlehre wurde im Mittelalter abgelöst von jener Auffassung des Leib-Seele-Problems, die wir wohl die speziell christlich-katholische nennen dürfen. Hie Seele als unbestritten ethische und dominierend geforderte Macht - hie Körper als Schweres, zu Überwindendes, ja Böses: Gott und Teufel. Als solche lebt sie in gewissen philosophischen Lehren heute noch einmal wieder auf. Aber auch ihr ist etwa die Frage, wie denn jedes von Beiden auf den Partner einwirken könne, kein unlösbares Problem. Sind doch beide, als von Gott, verbunden durch die vorübergehende Vereinigung im irdischen Leben.

An jene katholische Auffassung erinnert der letzte uns noch sichtbar berührende Versuch einer Formung: in der Lehre der romantischen Philosophen. In ihrer Grundkonzeption von der Polarität der lebendigen Kräfte - freilich von ihnen nicht ethisch, sondern rein dynamisch erlebt schufen sie ein Bild, das gleichermaßen die lebendige Einheit alles Geschehens im Kosmos erfassen wie auch die ewige paarige Gegensätzlichkeit des Seins anerkennen wollte. In Tag und Nacht, Wachen und Schlafen, Mann und Weib, Rechts und Links, in Systole und Diastole stellte sich als in überrationalen Gegenpolen und Kräftepaaren ihnen das Ganze dar, sich ebenso ausschließend und bedingend wie Vater und Mutter, die zusammen in einer höheren oder umfassenderen als der materiellen Ebene erst die neue Ganzheit Eltern ergeben, aus welcher die Frucht, das Kind, erwächst. Auch solchem Erleben und Darstellen ist die Frage Leib-Seele kein Paradoxon, sondern eine Tatsache, deren Erfassung notwendigerweise in höherer Ebene gesucht werden muß als auf der empirisch-materiell-rationalen. Die Grundkonzeption der Polarität fanden sic auf dieser Ebene. Auch diese Form beginnt heute in wesentlichen Darstellungen neues und fruchtbares Leben. Bald es würde zu weit führen die Gründe darzustellen allzubald setzte auch diesem unerhört lebendigen Baum das dürre Holz toter und blutleerer Systematik an. Diese nachfahrenden ärmlichen Kärrner aber pflegt man heute anzugreifen und zu meinen, wenn man - ohne Kenntnis ihrer großen Väter gegen,,Mystik und Spekulation in der Heilkunde" zu Felde zieht 2.

1 Es gibt in dem Sinn, wie es die heute abtretende Generation meint, eine,,reine" Wissenschaft nie. Die Wissenschaft, in deren Dienst Menschenbataillone gehorsam tätig sind, existiert nicht; es gibt nur Menschen, die als Kinder ihrer Epoche aus den diese Epoche ausmachenden und bewirkenden transzendenten Kräften ihre jeweilige Wissenschaft betreiben. Darüber konnte sich nur der flache Optimismus des rational-empirischen Zeitalters unklar sein. Dies einmal gesehen zu haben, ist quälende Resignation wie ewiger Stachel alles wissenschaftlichen Schaffens zugleich.

2 Der nachfolgende spezielle Teil wird uns besser als alle theoretische Versicherung vor dem Vorwurf schützen müssen, dem tatsachenblinden losgelassenen Spekulieren in Vergangenheit und

Aus dem ,,Leben" wurde die ,, Lebenskraft“ eine isoliert gedachte, den Organismus wie ein eingebauter (und herausnehmbarer) Motor bewegende Potenz abstrakter Natur, ein Faktor x, dessen,,Sitz“ gar an einer (!) bestimmten Stelle des Körpers nachzuweisen versucht wurde. Diesen untergeschobenen Bastard aus seiner angemaßten Rolle zu vertreiben, war dann Virchow vorbehalten: es ist wahrhaftig schwer hier Stellung zu nehmen; zu sagen, ob es ein bedauerliches Sterben wenn auch noch so armgewordenen Erbes oder ein Verdienst war, was durch ihn geschah — mit ihm jedenfalls beginnt die reine Bahn der primitiv Exakten, der Voraussetzungslosen und der vor lebendigem Irrtum durch Blindheit gefeiten,,objektiven Geister".

C.

Es sei ferne von uns, den Begriff des Lebens oder der Seele 1 definieren zu wollen. Aus dem Gesagten geht hervor, daß es nicht der warnenden Versuche, die gemacht wurden, bedarf, uns daran zu hindern; wir dem Leben Eingeschlossenen können nicht unternehmen, es in die Netze rationaler Systematik zu spannen. Vom Leben selbst sprechen wäre nicht anders möglich als in der Sprache der Dichter, so vielleicht wie es Goethe in seinem Fragment über die Natur tat (in welchem Versuch er bezeichnenderweise dauernd in polaren Bildern spricht!). Das aber liegt so wenig in unserem Können wie in unserer Aufgabe als Arzt und Mann der Wissenschaft. Im übrigen aber können wir das,,Leben“ nicht erklären; wir können nur versuchen, von ihm zu wissen und einiges zu sagen. Es sei lediglich angedeutet, daß wir das Lebendige, indem wir uns einer alten Definition von Platon entsinnen, überall da wirksam erscheinen sehen, wo ein Etwas sich aus sich selbst heraus bewegt. Lebendig ist also nicht nur Mensch, Tier und Pflanze, sondern ist auch der Kristall, der wächst. Lebendig ist ebenso die Erde als Ganzes in ihren Gezeiten, lebendig ist der Kosmos in seinem Wandel.

Seele finden und nennen wir, wo lebendiges Wesen als innerhalb der allgemeinen Lebendigkeit herausgreifbare und relativ selbständige Einheit, als Organismus, erscheint. Beim Mineral wüßten wir nicht anders zu sagen als daß dort Leben und Seele noch völlig sich decken; bei den Pflanzen ist eine gewisse Entfaltung der zwei Kräfte oder Qualitäten schon unverkennbar, mehr noch beim höheren Tier, wo fraglos die Seele eines Raubtiers - etwa des Tigers von der eines Rehs, die eines Stiers von der eines Lammes sich deutlich unterscheidet. Nur daß wir dem einzelnen Individuum eine selbständige Seele zuzuerkennen Bedenken tragen, macht die Beseelung des Tiers anzuerkennen immer wieder schwierig, trotz aller so überzeugenden Beobachtungen auch an Gegenwart das Wort reden zu wollen. Wie wesentlich ein stetes Hinschauen auf die Welt der Tatsachen ist, wie hier gar nie genug experimentiert, beobachtet, gewußt werden kann, wollen wir - gewarnt von jenen späteren und älter gewordenen Romantikern nie vergessen! Nur erscheint die heute noch beliebte Weltanschauung der reinen Empiriker ebenso unsinnig, ebenso unmöglich und das aktuellere Problem.

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1 Es sei an ein Wort Fechners erinnert:,,Was Körper sind, darüber gibt es für den schlichten Menschenverstand keine Zweifel; man zeigt darauf einfach mit dem Finger: dies und das. Mit der Seele muß es ebenso gehalten werden, wenn man nicht auf Abwege geraten soll. Definieren wollen, hilft nichts. Jeder Mensch weiß unmittelbar Bescheid, was gemeint ist mit den Ausdrücken: ich sehe, höre, ich erinnere mich, ich fühle Angst, Behagen usw. Hier ist man auf bekanntem Seelenboden. Wie ich auf einen Körper zeige mit einem nach außen gerichteten Finger, so zeige ich auf die Seele mit dem nach innen gekehrten Finger. Kurz, was Seele ist, kennt jeder von uns an sich selbst." (Über die Seelenfrage. Hamburg 1907.)

nicht domestizierten Tieren (Mutterliebe, Balztänze, Treue, Trauer, Schmuckfreude usw.). Es scheint vielmehr richtig, zu sagen, daß in dem Entfaltungsvorgang, gemäß dem aus dem Grunde des Naturlebens ein Seele zu Nennendes sich differenziert, im Mineralreich eine Abgrenzung lediglich des Ganzen aller Minerale gegen die Pflanzen möglich ist; die Tiere dagegen haben bereits deutlich sichtbar Gruppenseelen gebildet, die einmal die Exemplare einer Art oder Gruppe, andererseits die in lebendigem (z. B. räumlichem) Beisammensein lebenden Individuen auch verschiedener Art umfaßt. Nicht das Pferd Max oder eine einzelne Ameise haben ihre einzelne Seele; sondern die Pferde allesamt, insbesondere aber die mit Max im Stall zusammen stehenden oder im Wagen regelmäßig miteingespannten Pferde; die Ameisen überhaupt und die eines Staats insbesondere haben eine Gruppen-, eine gemeinsame Seele. Um ein Bild zu gebrauchen, die Seelen der Tiere gibt es so wenig einzeln wie die Wellen des Meeres. Aus dieser dumpfen Seele heraus leben die Phänomene, die wir Instinkte (Herdeninstinkt!) nennen; in diese weil beseelte deshalb wirksame Gemeinschaft gesellt, ist das Herdentier nicht nur glücklich sondern auch geschützt, wachstums- und lebensfähig. Wir können dies hier nur andeuten, soweit es für die Erfassung der seelischen Kräfte im Menschen wichtig ist. Denn im Menschen als dem differenziertesten Lebewesen es scheint so richtiger zu sagen als entwickelt, weil darin immer die darwinistisch züchterische Utopie eines Höher, eines Fortgeschrittenen liegt! sind alle jene noch unentfalteten Seelenmöglichkeiten und formen ebenfalls immer noch wirksame Tatsache; auch er hat noch sein ens vegetabile wie seine anima animalis. Im Primitiven und im Kind sind sie die noch bei weitem dominierenden, bei der Frau sind sie durchschnittlich stärker vertreten als beim Mann usw. Erst bei der Entwicklung von Menschen der sog. zivilisierten Völker über das Kindesalter hinaus können wir uns von einer der körperlichen Individualität entsprechenden persönlichen und an Gefühlen mannigfaltigeren Seele mehr oder minder stark überzeugen. Auch in der abgeschlossensten und kraftvollsten Persönlichkeit aber gibt es noch viel von jener Ur- und Gesamtseele Mensch und Animal und Natura communis schließlich —; und gibt es, je mehr sich innerhalb der (im Bilde gesagt) ausgebreiteten allgemeinen Seele ein differenziert individueller Kraftkern verdichtet, einen unendlichen Hunger, den man Sehnsucht nennt: nach Verschmelzung mit jenen anderen Seelen, mit dem Du im Wir, als Äußerungen jener Tiefenschichten im Seelischen. Hier sehen wir die Quelle der Erotik, die im Sexualtrieb nur ihre spezielle körperliche Äußerung findet. Mit jeder solchen Auseinanderfaltung seelischer Entelechien aus dem verborgenen Ruhen, aus dem Schoß des Ganzen in sichtbare Form hinein ist ebenso Gewinn (d. h. neue Lebensmöglichkeit) verbunden wie Verlust (nämlich an Sicherheit, Selbstverständlichkeit,,,Unschuld" und Einfachheit); stets bedeutet sie Möglichkeit unerhört großen aber unerhört gewagten Gewinns. (Speziell ärztlich sei nur an viele Neurosen erinnert, die aus dem verfehlten Anschluß an andere Seelen entspringen.)

Seele ist also einem oder mehr Leibern innewohnende Macht. Es ist immer noch richtiger, ihr, mit neusten Philosophen, eine in Analogie zum Körperlichen übertriebene Substanzialität zuzuschreiben, als sie nur eine Kraft im modernen wesenlosen Sinne zu nennen; sie ist eine Macht, die grundsätzlich in jedem belebten Körnchen oder Tröpfchen wohnt - nur bald mehr bald weniger in einen

1 Deswegen ist es so wie Bleuler sagt:,,Die Suggestibilität einer Vielheit von Individuen ist . . größer als die eines Einzelnen".

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