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Es bliebe also, wollte man an der Existenz jener neuen, aus psychotischem Boden erwachsenden, Gestalt gewinnenden Kräfte festhalten, nur übrig, dies auch auf andere als schizophrene Vorgänge auszudehnen, insbesondere auf solche krankhaften Vorgänge, wie sie bei van Gogh angenommen werden müssen. Was ganz allgemein die Möglichkeit eines solchen, durch andere als schizophrene Prozesse bedingten,,Stilwandels" anbetrifft, so scheint sich Jaspers darüber nicht eindeutig auszusprechen. Bei Hölderlin und van Gogh gilt ihm ja der schizophren bedingte Stilwandel als erwiesen.,,Im Kontrast zu van Gogh oder Hölderlin" (s. S. 128), bei denen wir neue Kräfte zu spüren in der Lage seien, käme man sehr weit, wenn man etwa Nietzsches spätere Produktion aus seinem ursprünglichen Geist durch,,bloßes" Wegfallen von Hemmungen zu begreifen versuche eine Auffassung, der wir uns gern anschließen werden, wenn wir etwa den Nietzsche des ,,Ecce Homo", d. h. des sicher paralytischen Nietzsche mit dem Philosophen früherer Tage und Werke einmal vergleichen.

Mag sein, daß die Größenidee das paralytische Merkmal schlechthin darstellt: hier bricht sie nicht als fremde Gewalt plötzlich und unvorbereitet in ein psychisches Gelände; hier stehen nicht psychotisches und präpsychotisches Geschehen beziehungslos nebeneinander; hier ist der Betrachter nicht genötigt, vor der psychotischen Entwicklung ratlos wie vor einer Katastrophe zu stehen, deren Gesetze, wenn er sie überhaupt anerkennen will, ihm undurchschaubar bleiben: Der paralytische Größenwahn Nietzsches scheint nichts anderes zu sein, als das ins Maßlose, Kritiklose, Uferlose gesteigerte Selbstgefühl eines Menschen, den Natur und Schicksal in dieses Selbstgefühl drängen mußten. Es ist keineswegs immer leicht anzugeben: spricht hier noch der,,übermenschliche" Philosoph oder schon der größenwahnsinnige Paralytiker. Der übermenschliche Philosoph scheint hier eben notwendig bereit zur Größenidee, und das krankhafte verheerende Etwas, das hinzukommt, zerreißt nur das feine Gewebe be wußter Kritik, das ihn irgendwie zusammenhielt und zugleich der Welt verband. Daher auch der Streit um den Beginn der Erkrankung zwischen Möbius und Hildebrand; die Auffassungen dieser beiden Autoren über diesen Gegenstand sind so divergent, daß der eine die Erkrankung bereits um 1881, der andere dagegen erst 1887, d. h. also 6 Jahre später (!) beginnen läßt. Ein solcher Streit konnte nur entstehen und ist ja auch nur entstanden, weil beide zum ganzen Gedankenbau des Philosophen grundsätzlich verschieden stehen: Möbius kann doch nur schlecht verhehlen, daß ihm Nietzsches Werk ein anrüchiges und unheimliches Gebilde ist; Hildebrand aber sucht mit Leidenschaft ein großes Kunstwerk aus den gefährdenden Händen eines fehlurteilenden irrenärztlichen Gutachters zu retten. Was dem einen noch erfühlbare und erlebbare Idee, ist dem anderen schon verdächtige Krankheitsäußerung. Wir aber gewinnen. aus diesem bemerkenswerten Streit um den Beginn der Geisteskrankheit Nietzsches die Überzeugung, daß hier zum mindesten auch die organische Hirnveränderung zunächst wenigstens keine wahllose Verwüstung im schaffenden Genie anrichtet, sondern bei voller Wahrung der Persönlichkeit und ihrer Stetigkeit nur Steigerungen und Versteigungen jener Denk- und Erlebnisrichtungen veranlaßt, die auch den präpsychotischen Künstler kennzeichnen.

Mit dieser Art der Betrachtung befänden wir uns dann durchaus auch in Übereinstimmung mit der Jaspersschen Auffassung, welche den paralytischen Nietzsche,,aus seinem ursprünglichen Geist durch bloßes Wegfallen von Hemmungen" begreift. Wenn aber Jaspers an anderer Stelle (s. S. 123) im strikten Gegensatz hierzu bemerkt, daß,,wohl aber die Paralyse der

Schizophrenie vergleichbare Wirkungen hat"; daß,,Nietzsche in aufzeigbarer Weise im Zusammenhang mit der ersten seelischen Veränderung eine ,,Stilwandlung erfuhr"; daß es,,auch bei ihm zwei Physionomien gibt": so müssen wir gestehen, daß wir diese Art der Betrachtung mit der oben gekennzeichneten, auch von Jaspers selbst geteilten Auffassung nicht zu vereinen vermögen.

Daß eine epileptische oder der Epilepsie nahestehende Erkrankung, wie wir sie bei van Gogh anzunehmen bereit sind, von sich aus dem künstlerischen Schaffen stilbildende Merkmale aufdrücken könnte, ist mehr als zweifelhaft. Sie mag den von ihr Befallenen mit inhaltlich großartigen, neuen, aus dem pathologischen Geschehen emporsteigenden Erlebnissen beschenken, Erlebnissen, die für den großen Epileptiker Dostojewski Momente höchster Steigerung des Lebensgefühles bedeuteten, und in denen er keinen Verfall, sondern eine besondere Stufe seiner seelischen Möglichkeiten erblickt.,,Was liegt daran, daß dies Krankheit ist; was liegt daran, daß dies eine nicht normale Anspannung ist, wenn das Resultat, der Augenblick dieser Empfindung, demjenigen, der nach Wiederkehr des Zustandes der Gesundung sich daran erinnert und es überdenkt, als die höchste Stufe der Vollendung und Harmonie erscheint und ihm ein bisher ungeahntes Gefühl der Fülle, des Ebenmaßes, der Versöhnung und des entzückten gebetartigen Zusammenfließens mit der höchsten Synthese des Lebens verleiht." (Der Idiot.) Wir erinnern uns der ganz ähnlichen Schilderung, die van Gogh über die ihn in der Erregung packenden visionären religiösen Erlebnisse in seinen Briefen gibt: Aber nichts deutet im Werk oder in der im , Idioten" niedergelegten Selbstschilderung Dostojewskis darauf hin, daß das Schaffen und das Geschaffene des Dichters durch die Erkrankung etwa eine Veränderung solcher Art erfuhr, daß eine Abbiegung der Erlebnis richtung im Sinne einer ,,Stilwandlung" erfolgte.

Wir sehen also, daß nach allem, was wir bisher davon wissen - geistige Erkrankungen der Art, wie sie unseren Künstler befiel, nicht imstande sind, schöpferischen Kräften eine grundsätzlich neue Richtung zu weisen.

Wir haben uns schon früher bemüht, das fragwürdige eines solchen, durch Krankheit bedingten Stilwandels bei van Gogh darzutun.

Sieht man von der Farbe ab, so ist es ja vor allem die Darstellung des natürlichen Objektes durch naturfremde geometrische Gebilde, welche dem Kunstwerk van Goghs ihren Stempel aufdrückt. Dies wird so weit getrieben, daß aus dem natürlichen Objekt sein,,Symbol" oder, wie wir besser sagen, seine Idee wird. Vor einer solchen abstrahierenden Darstellung muß überhaupt das natürliche Objekt an Belang und Bedeutung zurücktreten. Auf diesem Wege muß van Gogh zum primitivsten, belanglosesten Objekt kommen, zum Bauernstuhl (s. Abb. 1), zur Sonnenblume, zur Kartoffel usw. Da es sich ja nur um die Darstellung eines allgemeingültigen handelt, dieses sich aber auch im scheinbar bedeutungslosesten offenbart, kann auf die Bedeutung des Objektes dem,,Sinne" nach verzichtet werden. Darum kann eine Zypresse ebensogut eine Flamme sein (Abb. 2), ein Getreideacker ebensogut ein Saal: grund, eine Felsenlandschaft ebensogut ein brandendes Meer (Abb. 3). Immer sind es ja die gleichen Kunstformen, die sich nur an verschiedenen Objekten betätigen, diese aber stets vergewaltigen. Und diese Kunstformen bauen sich eben auf aus jenen geometrischen Einheiten: geraden Linien, Kurven, Punkten, Kreisen, Ellipsen, Rosetten usw.

Dadurch vereinfacht sich zunächst das ganze Bild.

Ferner bedingt die Vielheit geometrischer Gebilde jenen ausgesprochen ornamentalen Charakter, welcher dem Kunstwerk des späteren van Gogh eigen ist. Die kunstwissenschaftliche Analyse (Meier- Graefe), welche diese wahrhafte,, Idealisierung" der natürlichen Objekte durch die Kurven und Arabesken einer ornamentalen Darstellung außerordentlich hoch bewertet

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und hierin die Möglichkeit einer neuen, schlichten, volkshaften Kunstform erblickt, gelangt zu folgendem Urteil:

In vielen Bildern trägt eine Struktur ganz unmittelbar architektonischer Form den dekorativen Reiz. Auf manchen Olivenbildern wachsen. die sich umschlingenden Bäume zu Kapitälen nordischen Gefüges zusammen.

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Seine viereckigen Felder scheinen Grundrisse ungeheurer Säle." Man will Beziehungen sehen auf der einen Seite zu der ornamental-dekorativen Kunst der Japaner, auf der anderen Seite zu Rokoko und Barock. Vielleicht - so wagen wir zu vermuten rührt der doppelte Sinn des Wortes,,Barock", der ja nicht nur die Stilrichtung einer bestimmten Epoche, sondern auch das Seltsame und Befremdende einer Kunstform zum Ausdruck bringt, aus der Tatsache her, daß eben jene Stilrichtung lebensfremde, abstrahierende, der Natur,,abwegige" Formen wählte. Aber wir wollen vor allem als für unsere Betrachtung von grundsätzlicher Bedeutung festhalten, daß auch die kunst

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wissenschaftliche Analyse bei dem kranken Künstler Formprinzipien entdeckt, die auch unter anderen Bedingungen etwa dem Formgefühl

und Formbedürfnis einer bestimmten Kulturepoche - durchdringen.

Wenn wir Jaspers richtig verstehen, leitet er diesen Stil des van Gogh her von einem rein Inhaltlichen, Erlebnishaften der Erkrankung. Darauf deuten jedenfalls: das,, angespannte Suchen . . . der religiöse Impuls... der Kampf, das Staunen, Lieben... " die er in den Werken Vincents ausgesprochen findet. Indessen kann sich doch aus Jaspers nicht der Gewalt des rein Formalen entziehen; auch ihm entgeht nicht: ein,,Vordrängen der bloßen Dynamik der Striche, eine allgemeine Bewegung der Linien als solcher"; später, nachdem die Psychose sich immer deutlicher im Charakter des Kunstwerkes ausspräche, spricht er von einer,,Energie ohne Inhalt", was doch eben das Vorwiegen rein formaler Momente nahelegen soll.

Unser ganzes Leben ist beherrscht von derartigen formalen Ordnungen: nach ihnen gestalten wir die konkreten Dinge, unsere Möbel, Gebrauchsgegenstände usw., deren immer wiederkehrende Formen Gerade, Kreis, Rechteck, Quadrat, Ellipse usw. sind; nach ihnen gestalten wir sehr wahrscheinlich auch in hohem Maße unser abstraktes, unanschauliches Denken. Wollte man etwa für die formalen Gesetze der anschaulichen Dinge Zweckmäßigkeitsgründe geltend machen, so wäre zu erwidern: zweckmäßig ist eben das, was immanenten Ordnungen entspricht.

Es kann auch keinem Zweifel unterliegen, daß jedem Kunstwerk wirk lichen Ausmaßes ein Gestaltungswille rein formaler Natur zugrunde

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liegt, daß ein Inhaltliches, die Setzung von Sinn und Bedeutung, allein kaum jemals ausreichen wird, um große Kunst zustande zu bringen. Die Möglichkeit der,,Motive" ist zwar groß, das Formgefühl, der Formwille des Künstlers aber unerschöpflich.

Aber diese Formprinzipien liegen nicht immer zutage; aus Gründen, die hier nicht näher erörtert werden sollen, können sie verschüttet sein, und es bedarf in solchem Falle besonderer Bedingungen, um sie wieder empor zu holen. Zu diesen Bedingungen kann auch die Krankheit gehören. Eine von mir beobachtete schizophrene Kranke1 begann ziemlich plötzlich und ohne eigentlichen ,,Sinn" die Gegenstände ihrer Umwelt nach streng symmetrischen Grundsätzen umzuordnen. Es muß aber keineswegs nur die Schizophrenie sein, welche diese

1 Zur Psychopathologie des Negativismus. Monatsschr. f. Psychiatrie u. Neurol. Bd. 58. 1925.

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