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Symmetrien und Rhythmen entbindet. So hat Goldstein1 vor kurzem einen nicht schizophrenen, wahrscheinlich in seinem zerebellar-striären System geschädigten Kranken beschrieben, bei welchem sich derartige ordnende, richtende Funktionen mit großer Gewalt und wahrer Zwangsläufigkeit immer wieder durchsetzten, Funktionen, die nach Goldsteins Auffassung nicht erst neu durch die Krankheit geschaffen, durch diese vielmehr erst freigelegt würden. Daß es sich bei diesen rein formalen Prinzipien um auch dem Nichtgeisteskranken innewohnende und unter den verschiedensten kulturellen und anderen Bedingungen darstellbare Strukturen handelt, welche durch den Krankheitsprozeß nur verselbständigt, der Verbindung mit anderen, sie unter gewöhnlichen Bedingungen zügelnden Funktionen beraubt werden, geht auch aus den Analogien hervor, die sich mit der Kunst der Primitiven u. a. ergeben. In dem Maße wie es Prinzhorn2 gelingt, diese ,,Ordnungstendenzen" seiner Geisteskranken bei Kindern, Primitiven, Gesunden nachzuweisen, muß ihm die Beantwortung der Frage, ob der künstlerischen Darstellung der Schizophrenen spezifische Kennzeichen anhaften, schwerfallen ganz abgesehen von der Schwierigkeit, die sich aus der Analogie anderer, der Bildnerei der Geisteskranken eigener Züge (etwa spielerischer Tendenzen) mit solchen der Primitiven usw. ergibt. Auch Weygandt, der besonderen Nachdruck auf die Annäherung der Natur an geometrische Gebilde im Kunstwerk des Vincent van Gogh gelegt wissen will, scheint sich nicht recht entschließen zu können, spezifisch schizophrene Merkmale eines Kunstwerkes annehmen zu sollen und beschränkt sich darauf, solche Merkmale im Einzelfalle mit größerer oder geringerer Sicherheit zu ermitteln.

Tatsächlich sind wir denn auch nicht der Meinung, daß das Kunstwerk des Vincent van Gogh irgendwelche spezifisch-pathologischen Merkmale aufweist, vielmehr: daß es Merkmale der rein formalen Gestaltung besitzt, die unter krankhaften wie anderen Bedingungen emportauchen können und im Menschen schlechthin vorgebildet sind. Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß gerade die Kunst unserer Tage in unerbittlicher Konsequenz und mit großer Bewußtheit den ,,Rück"weg zu diesen reinen Strukturen anzutreten wagt. Uns ist dies an den musikalischen Kunstformen der Zeit besonders klar geworden jenen Kunstformen, die auf inhaltliche Gefühlswerte gänzlich verzichten und den Hörer in die kalte und ,,herzlose" Atmosphäre der reinen Struktur ziehen. Hier herrscht dann nur noch sachliche mathematische Ordnung, Rhythmen leben um ihrer selbst willen.

Auf diesem Wege, wenn auch noch nicht an diesem Ziele stand van Gogh, und hierin scheint uns der auch unserer Zeit so sehr gemäße Stil und Charakter seiner Kunst begründet zu sein. Er blieb freilich noch im ,,Wohllaut" der Farbe und Komposition, hatte zwar die Impressionisten verlassen, um zur Expression persönlichen Formgesetzes vorzudringen: aber die Struktur blieb bei ihm immer noch Trägerin freundlicher Räume und steht noch nicht wie ein Eisengerüst

selbstherrlich und erschreckend vor uns.

Wenn sich aber dartun läßt, daß jene formalen Prinzipien, welche das Kunstwerk des Vincent van Gogh so sehr bestimmen, dem Menschen schlechthin innewohnen, auch unter anderen als pathologischen oder gar nur schizophrenen Bedingungen entbunden werden können, ja, daß sie, wie wir anführten, in den

1 Über die gleichartige funktionelle Bedingtheit der Symptome usw. Monatsschr. f. Psychiatrie u. Neurol. Bd. 57. 1924.

2 Bildnerei der Geisteskranken. Berlin, Julius Springer, 1922.

Gestaltungswillen jedes wirklichen Künstlers mit eingehen: mit welchem Recht dürfte man dann noch aufrechterhalten, daß dieser Stil bei Vincent van Gogh unbedingt unter dem Einfluß eines psychotischen Prozesses zustande kam?

Hier sehen wir uns vor eine Frage gestellt, die mit ganzer Sicherheit beantworten zu können, uns nicht möglich erscheint.

Jaspers freilich hält es für sicher, daß bei van Gogh durch die Psychose „etwas aus dem ursprünglichen Telos entsteht, was ohne Psychose überhaupt nicht entstanden wäre".

Eine gegenteilige Annahme würde seiner Meinung nach,,aller Wahrscheinlichkeit ins Gesicht schlagen".

Auch Prinzhorn muß sich,,endgültig entschließen, mit einer produktiven Komponente ein für allemal zu rechnen". Birnbaum ist schon skeptischer: er wagt es noch nicht, zu entscheiden, ob ,,die Auswirkung . . . der Psychose soweit geht, daß sie geradezu neuen schöpferischen Kräften . . . Durchbruch verschafft und damit einem unerhörten einzigartigen Aufschwung des produktiven Schaffens den Boden bereitet".

Wir fühlen uns nicht berechtigt, diese Frage in allgemeiner Form zu beantworten; es kommt uns ja auch hier nur darauf an, zu ermitteln, ob und mit welcher Berechtigung das große Kunstwerk des Vincent van Gogh als unter der Mitwirkung einer geistigen Erkrankung entstanden angesprochen werden darf.

Die Lebensgeschichte van Goghs ist die Geschichte des Ringens um. eine ganz bestimmte Form. Der durch psychiatrisches Urteil Unbeschwerte wird die große Kunst des Vincent van Gogh immer als die notwendige Folge einer künstlerischen Entwicklung empfinden und begreifen. Er sieht sich (wie etwa der größte Kenner dieses Werkes: Meier-Graefe) niemals in der Lage, auf ,,außergeistige" Faktoren zurückgreifen zu müssen.

Es ist nicht nur überzeugend, daß das Kunstwerk des Vincent van Gogh aus der gesamten Existenz des Menschen,,,vermöge der Identität des religiösen, ethischen und künstlerischen Impulses" (Jaspers) entspringt, daß hier,,Persönlichkeit, Handeln, Ethos, Existenz und künstlerisches Werk in ungewöhnlichem Maße als ein Ganzes aufzufassen sind", sondern auch: wie das Kunstwerk naturnotwendig aus der Gesamterscheinung des Künstlers folgt. Denn die Kunstform entspricht hier vollkommen der Lebens form: Leben und Kunst werden hier von einem gleichen Formwillen gestaltet, dargestellt. In großer Klarheit und voller Bewußtheit drängt Vincent van Gogh in Leben und Gesinnung schon frühzeitig auf eine ,,strenglinige" Einfachheit. Bereits am 25. September 1875, also als 22 jähriger, schreibt er seinem Bruder: „Du weißt, wie andere dahin gekommen sind, wohin auch wir wollen, laß uns auch den einfachen Weg gehen." Am 14. Oktober 1875:,,Du wirst wohl fühlen, daß weder Du noch ich sind, was wir zu werden hoffen, und daß wir noch weit entfernt sind von Vater und anderen, daß uns Gründlichkeit und Einfachheit und Geradheit mangeln; man ist nicht mit einem Male einfach und wahr.“ Am 17. April 1876 über einen Natureindruck:,,Wohl war es ein großartiger und majestätischer Anblick, aber dennoch, einfachere, stillere Dinge treffen uns tiefer." Am 8. Juli 1876:,,Beunruhige Dich nicht über Dein üppiges Leben, wie Du es nennst, gehe nur ruhig Deinen Weg. Du bist einfältiger als ich und wirst wahrscheinlich eher und besser ans Ziel kommen." Am 2. August desselben Jahres dasselbe Bekenntnis zur Einfachheit im Geiste:,;. ebenso las

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Grundzüge der Kulturpsychopathologie. München, J. F. Bergmann, 1924.

ich auch noch in der Apostelgeschichte von Paulus, wie er am Strande stand und sie ihm um den Hals fielen und ihn küßten, und dies Wort Pauli ergriff mich: Hirr Gott, tröste den Einfältigen." Am 13. Oktober 1876:,,Denn es ist allein das in Einfalt und aus dem Überfluß des Herzens gesprochene Wort, welches Früchte bringen kann." Am 3. April 1878:,,Wenn man ergriffen wird von irgendeinem Buche . . . dann geschieht das, weil es aus dem Herzen, in Einfalt und mit Armut im Geiste geschrieben ist." Im gleichen Briefe:,,Es ist gut, voller Wissen zu sein, in den Dingen, die verborgen sind vor den Weisen und Verständigen dieser Welt, die aber von Natur den Armen und Einfältigen, den Frauen und Kindlein offenbaret sind . . .“ Im Mai 1878:,,Es ist manchmal wohltuend, solche Dinge, die einfach sind, zu sehen

Derselben Einfachheit befleißigt er sich in den primitiven Dingen des Alltages. Van Gogh schreibt am 11. Oktober 1875 aus Paris, damals noch ohne Not, mehr im Sinne eines Programmes:,,Übrigens müssen wir doch vor allem dafür sorgen, einfach zu essen." Er kleidet sich stets wie ein Proletarier, wünscht in jener Zeit, da er seinen Weg in der Kirche zu finden glaubt, nichts sehnlicher, als ein ,,Christus-Arbeiter" zu sein, ein ,,Arbeiter in Christo“, und fühlt sich im Borinage stark hingezogen zu den Bergarbeitern, in denen etwas so,,Einfaches und Gutherziges sei“.

Von diesem Drang zur Einfachheit, zur Weglassung alles individuellen Beiwerkes und zur Darstellung absoluter, allgemeingültiger Werte wird nun auch sein künstlerischer Formwille bestimmt. Auf diesem Wege muß der Künstler zur einfachsten Kunstform der Darstellung überhaupt, zur geometrischen Einheit, zur Linie, zum Kreis usw. gelangen: denn vor diesen Formen, welche uns immanenten Ordnungen entsprechen, hört das Individuelle, Zufällige auf. Er sagt einmal selbst, daß im Künstler etwas ,,Abstrahierendes" läge.

Es ist ein und dasselbe Gesetz, unter dessen Zwang der Künstler hier Leben und Kunst in der Sphäre der reinen, Natur und Wirklichkeit weit hinter sich lassenden Idee gestaltet. Das Darstellungsmittel einer solchen Kunst aber ist die Linie. Hierüber sagt Ernst Würtenberger1 folgendes: „Wir sehen im Tonwert das eigentliche Mittel der Wiedergabe der Wirklichkeit . . . Die Linie ist ein Darstellungsmittel, das der Natur fremd ist. Sie ist eine Abstraktion, ein Zeichen." Und im besonderen über van Gogh:,,van Gogh gebührt das Verdienst, als erster der modernen Künstler das Zeichen wieder eingeführt zu haben. Daß er es mit soviel Wucht und Persönlichem füllte, ist seiner Künstlerschaft besonders hoch anzurechnen. Dabei ist es merkwürdig, daß van Gogh zu dieser Zeichensprache nicht etwa durch unsere abendländischen Primitiven, sondern durch japanische und chinesische Zeichner kam. Und an der Logik seiner Entwicklung ist besonders zu bewundern, wie er mit dem Augenblick, da er sich in der Malerei vom Impressionismus abwendet, auch zum Zeichen in der Zeichnung kommt."

Also auch hier wieder ist ein Kunstwissenschaftler betroffen von der ,,Logik der Entwicklung"; auch hier erschließt sich das Werk aus den Gesetzen der Person, denen Notwendigkeit anhaftet. Von einem Bruch, einem Wandel des Stiles, kann also nicht die Rede sein; höchstens insofern, als die Entwicklung in sich reift, und, wenn man auf den Ausgang sieht, allerdings keiner Entwicklung Bruch und Wandel fehlen. Es scheint uns aber keine Notwendigkeit vorzuliegen zu jener Annahme, welche den,,Stilwandel“ van Goghs 1 Die Linie als Ausdrucksmittel. Genius, Zeitschr. f. alte u. werdende Kunst. Verlag Kurt Wolff, 1919.

Die Formprinzipien erscheinen schon vor Ausbruch der Erkrankung.

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aus einer Katastrophenwirkung von ,,außen", aus einer geistigen Erkrankung herleitetes sei denn, man betrachte auch die Psychose als zur Entwicklung gehörig.

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Tatsache ist ja auch, daß sich die für den späteren erkrankten van Gogh charakteristischen Formprinzipien schon vor Ausbruch der Psychose ankündigen: die Verselbständigung der Linie und Kontur, das Unheimlich-Schlangenhafte der linearen Begrenzung ist schon auf dem in Paris gemalten Porträt des Père Tanguy (siehe Abb. 4) sichtbar: auch hier bereits die entschlossene, unerbittliche, alles an sich reißende Kraft jener den Rocksaum des Modells abschließenden

Linie wie später beim Doktor Gachet (siehe Abb. 5). Von seiner Arbeit in Arles, vor Ausbruch der Psychose, sagt Meier-Graefe, daß er sie,,immer nur inner halb eines Schwunges vollzieht. . . wie bei dem Père Tanguy!" Also der Kunstkritiker, der ja mit ganz anderen Methoden an die Betrachtung herangeht, ist betroffen von der Stetigkeit und Folgerichtigkeit einer künstlerischen

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Entwicklung, die in ihrer Zielrichtung schon längst vor Ausbruch der Psychose offenbar ist! Die zeitliche Koinzidenz zwischen Stilwandel und Krankheit, aus der man ja auf eine Art ursächlicher Beziehung zwischen Kunstwerk und Psychose zu schließen geneigt ist, läßt sich also zum mindesten anzweifeln! Aber wenn uns auch kein Werk des Künstlers davon überzeugen könnte, daß hier Notwendigkeit einer Entwicklung vorliegt, die schon vor der Erkrankung sich vollzieht: die Äußerungen des Künstlers selbst beweisen es. Immer wieder lesen wir in seinen Briefen, wie er auf Einfachheit

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