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I. Abschnitt.

Allgemeine Grundsäke des Deutschen Staatsverfassungsrechts in Bezug auf Religionsangelegenheiten.

§. 1.

1. Von der unumschränkten gesetzgebenden Gewalt des Reichs und der Einzelstaaten zur Bestimmung der Rechte und Pflichten der Bürger in Bezug auf Religionsangelegenheiten.

Die Träger der Deutschen Reichsgewalt (Kaiser, Bundesrath und Reichstag), jowie die Landesstaatsgewalten (Fürsten oder Senate und Landtage) beanspruchen und üben thatsächlich das oberste und ausschließliche Recht, innerhalb des ganzen Reichsgebiets oder des Landesgebiets die Rechte und Pflichten der Bürger in Beziehung auf Religionsangelegenheiten zu bestimmen. Sie gestehen keinem Unterthan ein Mitentscheidungsrecht darüber zu, ebensowenig auswärtigen Staaten oder auswärtigen Vereinen oder deren Vorständen. Sie gehen hierbei von einem durch die Geschichte von Jahrtausenden bestätigten Erfahrungssaße aus, daß, wenn der Staat seinen höchsten Zweck, die Wohlfahrt aller seiner Glieder zu sichern und zu befördern, erfüllen soll, die Staatsgewalt nothwendig die höchste Gewalt im Staate sein und bleiben muß.

Diese oberste Gesetzgebungsgewalt pflegt in der Literatur des Staatsrechts und des Kirchenrechts seit längerer Zeit als „Kirchenhoheit“, „Staats-Kirchengewalt“, „jus majestaticum circa sacra“ bezeichnet zu werden 1).

1) Klüber, Deffentl. Recht, §. 506 (1840). Unpassend erscheint heutzutage die Bezeichnung „jus reformandi", welche dem Staatsrecht des untergeThudichum, Kirchenrecht.

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Ueberblickt man die verschiedenen Richtungen, in welchen sich die staatliche Gesetzgebungsgewalt in Bezug auf Religionsangelegenheiten äußert und äußern muß, so treten vorzugsweise folgende in den Vordergrund:

1. Der Staatsgewalt fällt vor Allem die Aufgabe zu, Regeln darüber aufzustellen, welchen Schutz die religiösen Ueberzeugungen der Staatsangehörigen und aller Staatsbewohner genießen sollen, und inwiefern religiöse Ueberzeugungen von bürgerlichen Pflichten entbinden oder die Ausübung bürgerlicher Rechte bedingen sollen.

2. Sie hat weiter darüber zu befinden, ob öffentlich aufgestellte Sitten- und Glaubenslehren oder öffentliche Religionsübungen, sei es Einzelner oder von Vereinen, mit der Sicherheit und Wohlfahrt des Staates vereinbar seien oder nicht, und im letteren Falle solche Lehren und Gebräuche zu verbieten.

Die Staatsgewalt kann sich aber nicht bloß abwehrend verhalten, sondern sie muß auch auf die Hebung wahrer Frömmigfeit und Gottesfurcht ausgehen, und, weil diese durch geläuterte religiöse Ueberzeugungen bedingt sind, auch die Ausbreitung letterer befördern. Diese Aufgabe löst sie vorzugsweise auf dem Gebiete des Unterrichtswesens, mittelbar aber auch durch Unterstützung von Religionsvereinen und Einwirkung auf die Leitung ihrer Angelegen

heiten.

4. Sie bestimmt ferner die Voraussetzungen, unter welchen eine Mehrheit von Bürgern sich zum Zweck der äußern Bethätigung ihrer Religionsanschauungen, insbesondere zum Zweck der Gottesverehrung und Belehrung, versammeln und zu Vereinen zusammenthun dürfen, schreibt solchen Vereinen ihre Verfassung ganz oder theilweise vor, damit dieselbe mit der Staatswohlfahrt und den staatlich geschützten Rechten der Bürger in Einklang bleibe, und

5. beauftragt endlich die geeigneten staatlichen Behörden, die staatliche Hülfe zur Vollziehung der Staatsgesetze und staatlich genehmigten Vereins-Sagungen (Kirchengesetze) zu gewähren und Streitigkeiten über die Anwendung derselben zu entscheiden, indem

gangenen Deutschen Reichs angehört, sowohl vor als nach dem Westfälischen Frieden in den einzelnen Deutschen Ländern eine sehr ungleiche Bedeutung hatte, und in den wenigsten ein freies Gesetzgebungsrecht über Religionsangelegenheiten bedeutete.

der Staat keinem Religionsvereine die Ausübung dieser obrigkeitlichen Rechte mehr zugesteht.

Die Eigenschaft der Reichs- und Landesstaatsgewalt als einer höchsten (souveränen) mit Niemand getheilten Gewalt ist nicht bloß etwas Thatsächliches, sondern es haben das deutsche Volk und die deutschen Fürsten in der Reichsverfassung und in den Landesverfassungen ihren übereinstimmenden Willen ausdrücklich kund gethan, daß Dieß so sein solle, den Grundsay also als einen Rechtsgrundsay anerkannt.

Die Reichsverfassungsurkunde weiß von keiner Beschränkung der Reichssouveränetät gegenüber Religionsvereinen, ermächtigt vielmehr das Reich, auf dem Weg der Verfassungsgesetzgebung Landesgesetze, welche etwa der ordentlichen Gesetzgebung nachtheilige Fesseln anlegen, zu beseitigen 1).

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Die Preußische Verfassungsurkunde v. 31. Januar 1850 janctionirt die Staatssouveränetät durch folgende Vorschriften: Art. 10: „Geseze und Verordnungen sind verbindlich, wenn sie in der vom Geseze vorgeschriebenen Form bekannt gemacht worden sind. Die Prüfung der Rechtsgültigkeit gehörig verkündeter Königlicher Verordnungen steht nicht den Behörden, sondern nur den Kammern (den Häusern des Landtags) zu." Art. 4: „Alle Preußen sind vor dem Geseze gleich.“ Art. 12: „Den bürgerlichen und staatsbürgerlichen Pflichten darf durch die Ausübung der Religionsfreiheit kein Abbruch geschehen“ 2). Sie bestätigt also die

1) Das Reichs-Militärstrafgesetzbuch v. 20. Juni 1872, §. 48, spricht den wichtigen Grundsay aus, daß „die Strafbarkeit einer Handlung oder Unterlassung dadurch nicht ausgeschlossen sei, daß der Thäter nach seinem Gewissen oder den Vorschriften seiner Religion sein Verhalten für geboten erachtet habe." (R.-G.-Bl. 182. Vgl. Kommissionsbeschlüsse: Reichstag 1872, Aktenst. Nr. 90, S. 374, §. 50). Das außer Kraft gesetzte Baierische Strafgesetzbuch v. 10. Novbr. 1861, Art. 70, enthielt eine auf alle Unterthanen gleich anwendbare Vorschrift folgenden Wortlauts: „Die Unwissenheit über das Bestehen eines Strafgesetzes überhaupt, oder über Art und Größe der Strafe, die Meinung, als ob die durch das Gesey verbotene Handlung nach dem Gewissen oder der Religion erlaubt gewesen sei, — — schließen die Strafbarkeit nicht aus."

2) Aehnlich bestimmten die Grundrechte des Deutschen Volks v 27. Decbr. 1845, Art. 5: Das religiöse Bekenntniß „darf den staatsbürgerlichen Pflichten keinen Abbruch thun.“ Desterreichisches Grundgesetz v. 21. Decbr. 1867 über

Bestimmung des Preuß. Allgem. Landrechts v. 1794, Einleitung. §. 22: „Die Gesetze des Staats verbinden alle Mitglieder desselben, ohne Unterschied des Standes, Ranges und Geschlechts"1).

Die Verfassungsurkunde von Bayern v. 26. Mai 1818, Tit. 2, §. 1, spricht den Grundsaß der Staatssouveränetät in der Form aus, daß der König das Oberhaupt des Staats sei, alle Rechte der Staatsgewalt in sich vereinige und dieselben unter den in der Verfassungsurkunde festgesetzten Bestimmungen ausübe" 2). Die II. Beilage der Verfassungsurkunde, das sog. Religionsedikt, besagt in dem Schlußsaß seines §. 103: „Dieses allgemeine StaatsGrundgesetz bestimmt, in Ansehung der Religionsverhältnisse der verschiedenen Kirchengesellschaften, ihre Rechte und Verbindlichkeiten gegen den Staat, die unveräußerlichen Majestätsrechte des Regenten, und die jedem Unterthan zugesicherte Gewissensfreiheit und Religionsausübung." 3m Wesentlichen übereinstimmend mit der ersterwähnten Verfügung der Bayerischen Verfassungsurkunde lauten die Verfassungsurkunden des Königreichs Sachsen v. 4. Septbr. 1831, §. 4, Württemberg v. 25. Septbr. 1819, Art. 4, Baden v. 22. Aug. 1818, §. 5, und für Elsaß-Lothringen verordnet das Reichsgesetz v. 9. Juni 1871, daß dort der Kaiser die Staatsgewalt ausübe"). In Baden brachte das Gesetz v. 9. Detbr.

die allgemeinen Rechte der Staatsbürger, Art. 14: „Den staatsbürgerlichen Pflichten darf durch das Religionsbekenntnißz kein Abbruch geschehen.“ Schweize rische Bundesverfassung v. 1874, §. 49:,,Glaubensansichten entbinden nicht von der Erfüllung der bürgerlichen Pflichten."

1) Das Preußische Verfassungsgesetz v. 5. April 1873 hatte dem Art. 15 der Verfassungsurkunde v. 1850 die Fassung gegeben: „Die evangelische und die römisch-katholische Kirche, sowie jede andere Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig, bleibt aber den Staatsgesehen und der gefeßlich geordneten Aufsicht des Staates unterworfen.“ (Das Verfassungsgesetz v. 18. Juni 1875 hat den Art. 15 dann völlig aufgehoben, um allen unpassenden Folgerungen aus der darin noch ausgesprochenen „Selbständigkeit“ der Kirchen für immer ein Ende zu machen). Entsprechend lauteten die Grundrechte des Deutschen Volkes v. 27. Decbr. 1848, Art. 5 (Reichsverf.-Entwurf, §. 147) und lautet noch das Desterreichische Staatsgrundges. v. 21. Decbr. 1867, Art. 15.

2) Ueber diese Auslegung vgl. namentlich R. Gneist, der Rechtsstaat. 1872, S. 148.

3) R.-G. BL. 212.

1860, §. 13, den Grundsat noch deutlicher zum Ausdruck: „In ihren bürgerlichen und staatsbürgerlichen Beziehungen bleiben die Kirchen, deren Anstalten und Diener den Staatsgesehen unterworfen.",,Keine Kirche kann aus ihrer Verfassung oder ihren Verordnungen Befugnisse ableiten, welche mit der Hoheit des Staats oder mit den Staatsgesetzen im Widerspruch stehen" 1). Fast wörtlich ebenso lautei das Großherzogl. Hessische Gesetz v. 23. April 1875, Art. 42).

Die meisten Verfassungen erkennen ihn ferner noch durch die Vorschrift an, daß alle Staatsangehörigen vor dem Geseze gleich, also ihm auch in gleicher Weise unterworfen, zu gleichem Gehor= jam verpflichtet, und auch verpflichtet seien, denselben eidlich zu ge= loben ). Z. B. Verfassungsurkunde des Großherzogthums Hessen v. 17. Decbr. 1820, Art. 22:,,Der Vorwand der Gewissensfreiheit darf nie ein Mittel werden, um sich irgend einer, nach den Gesetzen obliegenden Verbindlichkeit zu entziehen." (Fast wörtlich in der Kurhessischen Verf.-Urk. v. 1831, §. 30, wiederholt). Württembergische Verfassungsurkunde v. 25. Septbr. 1819, Art. 21: „Alle Württemberger haben gleiche staatsbürgerliche Rechte, und ebenso sind sie zu gleichen staatsbürgerlichen Pflichten und gleicher Theilnahme an den Staatslasten verbunden, so weit nicht die Verfassung eine ausdrückliche Ausnahme enthält; auch haben sie gleichen verfassungsmäßigen Gehorsam zu leisten.“

§. 2.

Arten und Rangordnung der staatlichen Vorschriften über Religions= angelegenheiten und Verhältniß der kirchlichen Beliebungen zu denselben.

Die Rangordnung der staatlichen Vorschriften für die Beurtheilung der Pflichten und Rechte der Bürger in Bezug auf Religionsangelegenheiten ist die gleiche wie für alle übrigen bürgerlichen Verhältnisse. Maßgebend sind also:

1. In erster Linie die Verfassungsgesetze des Reichs; dann 2. die einfachen Reichsgesetze;

1) Dove's Zeitschr. 1, 159. Friedberg, Staat und Kirche in Baden 1874, S. 238.

2) Reg.-Bl. 248.

3) Hierüber s. unten.

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