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Das Erkenntnisproblem.

Nach all dem Gesagten kann es keinem Zweifel mehr unterliegen, daß die Liebesdichtung des dolce stil nuovo prinzipiell symbolisch zu deuten ist. Ich sage prinzipiell, denn überall da, wo die Frau noch keine symbolische Geltung hat, ist's noch der alte Stil. Wer diese Definition nicht festhält, wird nie zur Klarheit kommen. Nun sind die Dichter freilich selten Männer von Prinzipien, und es gibt wohl keinen einzigen Vertreter des neuen Stiles unter ihnen, der sich nicht auch im alten dann und wann gefallen hätte. Solche Ausnahmen festzustellen ist Sache der Einzelkritik. Der Literarhistoriker, dessen Gegenstand in letzter Linie immer die Form ist und nicht die Philosophie, kann darum ohne Bedenken eine weitere Definition, ja sogar die sehr weitherzige von Vittorio Cian gelten lassen: „Der stil nuovo umfaßt (ohne die Einschränkung jenes dolce, das Dante aus wohlberechtigten Opportunitätsrücksichten gesetzt hat) die ganze neue und originelle Dichtung, nicht die erotische Lyrik allein.“ 1

Die symbolische Wertung der Frauenminne bildet zwar die wesentliche, aber doch nicht die einzige Seite an der Dichtung des neuen Stiles. Vor allem ist die Art, wie der zu symbolisierende Gedanke von den Dichtern aufgefaßt und ausgedrückt wird, eine zweifache: eine

1 Cian, I contatti letterari italo-provenzali .

S. 16.

vorwiegend verstandesmäßige und scholastische und eine vorwiegend gefühlsmäßige und mystische.

Trat man mit wissenschaftlichem Geist an die Sache heran, so ward man bald gewahr, daß das Verfahren, wonach die früheren Dichter das Entstehen der Liebe zu erklären suchten, nicht mehr genügen konnte. Man hatte ja nunmehr in der aristotelischen Psychologie und Erkenntnislehre eine Fülle neuer Werkzeuge gefunden, um der Frage auf den Leib zu rücken. Die Troubadours und die Sizilianer vermochten den Vorgang des Verliebens nur zu schildern, nicht zu erklären, wie Gaspary richtig bemerkt. Das wird nun mit einem Schlage anders. Auch hier wieder ist Guinicelli der führende Geist. Als echter Dichter nimmt er seine Zuflucht zu einem Gleichnis, und als gründlicher Denker wählt er ein solches, das zu seinem Gegenstande eine tiefere als nur bildliche Verwandtschaft hat:

Splende in la Intelligenza dello cielo

Dio creator, più ch'a 'nostri occhi il Sole:
Quella 'ntende il suo fattor oltra'l velo;

Lo ciel volgendo, a lui ubidir tôle,

E consegue al primero

Del giusto Dio beato compimento.

Così dar dovria il vero

La bella donna, che negli occhi splende,

Del suo gentil talento,

Chi mai di lui ubidir non sí disprende.

Das Tertium Comparationis ist hier das Erkenntnisvermögen, das in gleicher Weise in dem Liebhaber wie im Himmelsgewölbe wohnt, und der Akt des Erkennens, der in gleicher Weise bei beiden das liebende Hinstreben, den „Gehorsam" erzeugt. Die früheren Dichter legten das Hauptgewicht auf die sinnliche Wahrnehmung durchs Auge, die neuen legen es auf das innere Verständnis. An Stelle der physiologischen ist die psychologische, an Stelle der sensualistischen die idealistische Erklärung von

Erkenntnis und Minne getreten. Dasselbe bestätigt uns Guido Cavalcanti in seiner bekannten theoretischen Kanzone:

(Amore) Ven da veduta forma che s'intende,

Che prende nel possibile intellecto,

Come in subiecto, loco e dimoranza.

Nun war bekanntlich die Erkenntnistheorie in der Scholastik eines der strittigsten Gebiete. Besonders das Verhältnis des möglichen Verstandes (intellectus possibilis) zum tätigen (intellectus agens) hatte, da es von Aristoteles im unklaren gelassen war, zu zwei entgegengesetzten Auffassungen Anlaß gegeben.

Averroes und die Averroisten lehren 1, daß der mögliche sowohl wie der tätige Verstand von der individuellen Seele des Menschen getrennt existiere. Dem Menschen eigen ist nur der sogenannte passive oder hylische Verstand, das was die Scholastiker als vis aestimativa bezeichnen und was dem Tiere in ähnlicher Weise zukommt. Der tätige Verstand aber ist getrennte Substanz: eine Universalintelligenz und zwar die niederste in dem sphärischen Stufenreiche der Intelligenzen. Sie strömt aus der Mondsphäre herab auf die Menschheit und kann darum die sublunare Intelligenz genannt werden. In der Mitte zwischen dem jedem Menschen eigenen hylischen oder passiven Verstand und dem keinem Menschen eigenen tätigen Universalverstand liegt der mögliche Verstand. Er ist kein selbständiges Prinzip, keine Substanz, er entsteht vorübergehend und gelegentlich, sooft sich im Menschen der passive mit dem aktiven Verstand zum Erkenntnisprozeß vereinigt. Mit anderen Worten: das logische und abstraktive Erkennen erfolgt nicht innen im Gehirn des Menschen, sondern gleichsam von außen her und steht zu der individuellen Menschenseele nicht

1 Näheres und die einschlägige Literatur bei ÜberwegHeinze, Grundriß der Geschichte der Philosophie, 2. Teil, 8. Aufl., Berlin 1898, S. 221 ff.

in einem natürlichen und effektiven, sondern in einem okkasionalistischen Kausalzusammenhang. Jedesmal, wenn der Mensch vermöge seiner sinnlichen Wahrnehmung und vermöge seiner vis aestimativa gewisse intelligible Vorstellungen zur Klarheit herausgearbeitet. hat, teilt sich ihm von außen die sublunare Intelligenz mit: so erfolgt die rationale Erkenntnis. An dem allgemeinen, tätigen und objektiven Verstand nimmt der einzelne also nur zeitweise und nur insofern teil, als er sich zur Erkenntnis anschickt und vorbereitet. Er kann auf diese Weise in größerem oder kleinerem Umfange zu einem erworbenen Verstande gelangen (intellectus adeptus). Hat er sich aber durch Erkenntnis sämtlicher Spezies auf Erden den ganzen möglichen Verstand angeeignet, hat er die höchste Summe des intellectus adeptus erreicht, so rückt er in eine höhere Stufe der Erkenntnis auf und gelangt zur spekulativen Erkenntnis der reinen, immateriellen Substanzen, die der vorzügliche Gegenstand des intellectus activus sind. Damit wird er gottähnlich. So ergeben sich drei Stufen für den Menschen:

1) die individuelle, wo er dem Tiere ähnlich und vergänglich ist wie dieses;

2) die Stufe des erworbenen Verstandes, wo er vorübergehend an der ewigen Universalintelligenz teil hat;

3) die des tätigen Verstandes, wo er sich den ganzen möglichen Verstand angeeignet hat, von Stufe zu Stufe zur Erkenntnis der reinen Intelligenzen und schließlich zur Gotteserkenntnis emporsteigt, um nach seinem Tode in einer pantheistischen und immateriellen Substanz sich aufzulösen.

Diese Lehre mußte folgerichtigerweise dazu kommen, die Unsterblichkeit des Individuums als Individuum zu leugnen. Zugleich schloß sie auch die freie Willensbestimmung aus, denn, streng intellektualistisch angelegt wie sie war, machte sie den Willen abhängig vom

Intellekt. Wo keine eigene Vernunft dem Individuum zugestanden wurde, konnte es auch keinen eigenen Willen haben.

Eine derartige Auslegung des Aristoteles durfte von den katholischen Scholastikern nicht hingenommen werden. Es galt die Einheit der individuellen Menschenseele zu retten. So ward denn hauptsächlich von Albertus Magnus und Thomas von Aquino der Kampf gegen die Averroistische Lehre eröffnet, die im christlichen Abendland und nicht zum wenigsten in Italien sich geltend zu machen begann. 1 Da aber auch diese frommen Männer den Übergang von der sinnlichen Vorstellung zur abstrakten Erkenntnis nicht zu erklären, den Sprung vom Tier zum Menschen nicht zu überbrücken vermochten, so nahmen sie ihre Zuflucht ebenfalls zu einem okkasionalistischen Wunder: die anima rationalis, und damit auch der Intellekt, so lehren sie, wird jedesmal von Gott geschaffen und eingeflößt, sobald ein menschlicher Embryo sich ausgebildet hat. Die Mitteilung der Intelligenz von außen und oben, die, nach Averroes, bei jedem einzelnen Erkenntnisakt immer wieder stattfand, ist damit auf einen einzigen Fall am Anfang des menschlichen Lebens beschränkt. Aber ein Wunder und ein metaphysischer Vorgang bleibt sie noch immer. Der wesentliche Unterschied der beiden Lehren liegt deshalb weniger hier, weniger in der einmaligen oder mehrmaligen Verbindung des höchsten Erkenntnisvermögens mit den niederen Seelenkräften, als in der Art, in der Innigkeit und Dauer dieser Verbindung. Bei Averroes ist sie eine vorübergehende, bei Thomas eine vom Moment der Eingießung ab unzerstörbare und ewige: die Intelligenz kann aus ihrer individuellen Hülle nie wieder heraus. Sie kann sich erweitern, bereichern, entfalten, aber niemals über

1 Vgl. E. Renan, Averroès et l'Averroisme, Paris 1852, 2. Aufl. 1865, bes. IIe. Partie.

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