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die Grenze ihrer menschlichen Individualität hinweg sich ins Allgemeine verlieren. Sie muß um den Preis ihrer Unsterblichkeit auf die übermenschliche Gottähnlichkeit im averroistischen Sinne verzichten. Erst die Mystiker haben diese Rückkehr zur Gottheit dem Individuum wieder durch ein neues Wunder auf dem Wege der Ekstase eröffnet. Hier berühren sich - das sei im Vorbeigehen gesagt die christlichen Mystiker mit dem Averroismus. Der Akt der Erkenntnis ist nun bei Thomas natürlich ein anderer: er kommt, sobald die sinnliche Wahrnehmung stattgehabt hat, von innen durch die Selbsttätigkeit der Einzelintelligenz, nicht von außen durch die Vermittlung der Universalintelligenz zustande. Bei Averroes verhält sich der mögliche Verstand zum tätigen wie die Spezies zu den Universalien, wie der einzelne Fall zur allgemeinen Bedingung, bei Thomas wie die Anlage zur Tätigkeit. Die Anlage ist gemeinsam und nur quantitativ verschieden in den einzelnen Menschen, die Tätigkeit aber ist immer Sache des Individuums. Ziehen wir die äußersten Konsequenzen der beiden Erkenntnistheorien, so ergibt sich für Averroes, daß, je höher die Erkenntnis gesteigert wird, desto mehr das Individuelle sich verflüchtigt; für Thomas beinahe das Gegenteil: je höher die Erkenntnis beim Individuum, desto reicher und kräftiger seine Individualität, und die allerletzte Konsequenz müßte lauten: jede Erkenntnis ist individuell, so viele Individuen, so viele Erkenntnisinhalte und Erkenntnisformen. Diese äußersten Konsequenzen aber hat sich Thomas gescheut zu ziehen. Sie hätten ihn zum Skeptizismus geführt. Er nimmt vielmehr einen mittleren Standpunkt ein, indem er das Individuationsprinzip weder mit Averroes ausschließlich in die Materie, noch auch ausschließlich in die Form resp. Intelligenz setzt, sondern in die Verbindung der beiden. 1 Uns

1 Näheres bei Hauréau, Histoire de la phil. scolast. I, 2, S. 347 ff.

kommt es hier aber nicht auf die Darstellung der thomistischen Philosophie, sondern auf genaue Kennzeichnung der Gegensätze an, in denen sich die Gedanken jener Zeit bewegten. Tatsächlich hat es damals nicht an Scholastikern gefehlt, die in der Intelligenz selbst das Prinzip der Individualität erblicken wollten. 1

Und nun fragen wir uns: nach welcher der entgegengesetzten Seiten haben die Dichter des dolce stil nuovo geneigt? G. Salvadori entschied sich in seiner wertvollen Arbeit: la poesia giovanile e la canzone d'amore di G. Cavalcanti 2 ohne weiteres für die averroistische Geistesrichtung. Zweifellos hat er damit das Richtige getroffen. Seine geistvollen Ausführungen hätten an Überzeugungskraft vielleicht noch gewonnen, wenn er die Gegensätze in den damaligen Erkenntnistheorien herausgearbeitet, auf die Alternative von materiellem oder intellektuellem (formellem) Individuationsprinzip zurückgeführt und die andere Möglichkeit auszuschließen sich bemüht hätte. Wir versuchen im folgenden einige Beweisstücke nachzutragen, die uns geeignet scheinen, Salvadoris These zu stützen und womöglich zur Sicherheit zu erheben.

Zunächst ein innerer und philosophischer Grund: die individualistische Erkenntnislehre, selbst in der gemäßigten Form des Thomismus, führt notwendigerweise dazu, das Moment der selbständigen und bewußten Geistestätigkeit im Erkenntnisprozeß herauszuheben. Vom Standpunkt des Averroismus aus läßt sich die Tatsache des Selbstbewußtseins nicht erklären, gerade so wenig

1 Das bezeugt uns z. B. A. Magnus, De Nat. et orig. animae, tract. I, cap. VII: mentiuntur omnino qui dicunt, quod forma quae est in anima, duplicem habet comparationem : unam quidem ad rem cujus est forma, et sic dicunt ipsam esse universalem: et aliam ad intellectum, et sic dicunt individuam esse per intellectum in quo est.

2 Rom 1895.

wie von dem des Sensualismus aus. Thomas wendet sich nun mit überraschender Schärfe gegen diese beiden Erkenntnistheorien: obgleich sie in ihrem innersten Wesen sich vollständig entgegengesetzt sind, so hat er doch richtig erkannt, daß sich gegen die eine sowohl wie gegen die andere das Moment der selbstbewußten geistigen Tätigkeit geltend machen läßt. Den Sensualismus widerlegt er kurz und bündig in seiner Summa contra Gentiles: Kein Sinn erkennt sich selbst. Das Auge sieht sich selbst nicht und sieht nicht, daß es sieht. Diese Erkenntnis ist Sache einer höheren Kraft, des Intellekts. Er nur erkennt sich selbst und erkennt zugleich, daß er erkennt." Zum Averroismus nimmt Thomas anderwärts Stellung. Bevor er ihn angreift,

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sorgt er aber dafür, die Art der menschlichen Selbsterkenntnis genau zu bestimmen und von der göttlichen zu unterscheiden. Der göttliche Intellekt erfaßt sich selbst; sich selbst zu denken ist sein eigenstes Wesen. Der menschliche Intellekt aber kann sich nur durch einen Rückschluß erfassen: er erkennt sich an seiner Tätigkeit und durch seine Tätigkeit. Seinem Wesen nach ist er zunächst auf die sinnlich wahrnehmbaren Dinge gerichtet und nur auf diesem Umweg kann er in sich selbst zurückkehren. 2 Und jetzt, nachdem dies feststeht, wird als erster Satz der folgende gegen den Averroismus ins Feld geschickt: Si intellectus agens est substantia separata, impossibile est, quod per ipsam formaliter intelligamus: quia id quo formaliter agens

1 II. cap. 66. Nullus enim sensus cognoscit se ipsum nec suam operationem; oculus non videt seipsum, nec videt, se videre, sed hoc superioris potentiae est. Intellectus autem cognoscit seipsum et cognoscit, se intelligere.

2 Summa Theol. I, 1, qu. 87, art. 1. Non per essentiam suam, sed per actus suos se cognoscit intellectus noster ... Si igitur intellectus cognoscit actum suum, aliquo modo cognoscit illum, et iterum illum actum alio actu.

agit, est forma et actus agentis; cum omne agens agat inquantum est actu.“1 Das heißt, wenn ich mich nicht täusche, in unser einfaches Deutsch übertragen: Wenn der tätige Verstand eine getrennte Substanz für sich ist, so ist es unmöglich, daß wir durch ihn formaliter, d. h. actu, d. h. durch Tätigkeit erkennen. Noch einfacher: nach Averroes wäre die Erkenntnis überhaupt keine Tätigkeit des Menschen. Selbsterkenntnis aber ist immer nur durch geistige Tätigkeit möglich, ergo kann Averroes die Tatsache der Selbsterkenntnis nicht erklären oder er kann es nur, was für Thomas nicht in Betracht kommen durfte, auf der höchsten und gottesähnlichen Stufe der Erkenntnis, wo schließlich das Denken mit seinem eigenen Objekt identisch wird. Der heilige Thomas kommt also, wie wir aus den angeführten Stellen sehen, dem Cogito ergo sum des Descartes schon ziemlich nahe. 2

Demgegenüber ist es ein gemeinsamer und höchst charakteristischer Zug der Dichter des neuen Stiles, daß sie die Erkenntnis des geliebten Gegenstandes fast ganz passiv über sich ergehen lassen, niemals die aktive, subjektive und bewußte Seite im Ablauf des Erkenntnisprozesses hervorkehren. Außer den bereits zitierten Stellen aus Guinicellis und Cavalcantis Kanzonen beachte man noch die folgenden, die sich ohne Mühe auch vermehren ließen:

Dal ciel si mosse spirito in quel punto
che quella donna mi degnò guardare,
e vennesi a posar nel mio pensero,
Et li mi conta sì d'amor lo vero

1 ibid., qu. 88, art. 1.

2 Wenn ihm daneben auch die Auffassung des Intellekts als einer rezeptiven Potenz für sämtliche intelligiblen Formen geläufig ist, so beweist das, daß er nach der anderen Richtung hin sich doch wieder mit Platonismus und Averroismus berührt.

ched ogni sua virtù veder mi pare

siccom' io fosse nel suo core giunto,1

Glaubt man hier nicht die Mitteilung der averroistischen Universalintelligenz im Bilde versinnlicht zu erkennen?

Quanto è nell'esser suo bella, e gentile

negli atti ed amorosa,

tanto lo immaginar, che non si posa,
l'adorna nella mente, ov'io la porto;
non che da sè medesmo sia sottile

a così alta cosa,

ma dalla tua virtute ha quel, ch'egli osa
oltra il poter che natura ci ha porto.2

Könnte man mit klareren Worten an ein außerhalb und überhalb des Individuums gelegenes Erkenntnisprinzip appellieren? Eine starke Beimischung von Mystizismus erhält diese okkasionalistische Erkenntnistheorie im letzten Sonett der Vita Nuova:

Oltre la spera, che più larga gira,

Passa il sospiro, ch'esce del mio core:
Intelligenza nuova, che l'Amore
Piangendo mette in lui, pur sú lo tira.
Quand'egli è giunto là, dov'el desira,
Vede una donna, che riceve onore,
E luce sì, che per lo suo splendore
Lo peregrino spirito la mira.

Wenn je einmal die eigene intellektuelle Tätigkeit etwas mehr zur Geltung kommt, so geschieht es immer nur so, daß sie als Vorbereitung zur würdigen Aufnahme der hohen Frau Intelligenza erscheint. Sobald diese herabsteigt, flüchten die animalischen Seelenkräfte:

Quando 'l pensero divien sì possente,

che m'incomincia sua virtute a dire,

1 Cavalcanti, son. Io vidi li occhi.
2 Dante, canz. Amor che muovi.

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