Die Keltenvölker, welche den Süden Europa's bereits besetzt sahen, fanden den Westen an der Donau aufwärts und am Rheine frei, von wo sie sich nach Britannien und Hispanien verbreiteten und sich daselbst mit den vermuthlich aus Afrika gekommenen Iberiern vermischten. Den nördlichen Weg an der Wolga und weiter hin über die Hochebene Waldai scheinen die Germanen (Ingaevonen, Hermionen und Istaevonen) gezogen zu sein, die in die hercynische Wildniss von Norden allmälig eindrangen, sie lichteten, und zwischen Rhein, Donau und Weichsel sich niederliessen und in viele Stämme theilten. Ihnen nach nahmen die Slaven (Wenden, Slavinen, Anten) die hinterkarpatischen weiten Landstriche ein, in welchen wir sie von den ältesten Zeiten (obwohl zum Theil unter Sarmaten begriffen) finden, und von wo sie erst später in zahlreichen Stämmen aus dem Dunkel ihrer Urgeschichte hervortreten. Den äussersten Norden und Osten füllten finnische und skythische Völkerschaften, womit die Hauptgruppen der europäischen bekannten ältesten oder sogenannten Urbewohner abgeschlossen erscheinen. So weit die Kunde der eigentlichen Geschichte reicht, waren die Länder, welche gegenwärtig den österreichischen Kaiserstaat bilden, stets von verschiedenen Völkerstämmen bewohnt. Spuren eines umbrischen, dann eines aus tyrrhenisch-pelasgischen und tuscischen Elementen entstandenen etruskischen Reiches am Po, die mythischen Sagen von Kadmus, dem Stifter von Epidaurus, von Jason's Argonautenfahrt, und der dabei erfolgten Gründung von Aemona (Ober-Laibach) und Pola, von der Ankunft Antenor's mit einer Colonie Veneter am venetischen Strande und dessen Gründung von Patavium (Padua) und Adria, sowie historische Andeutungen über Hyperboräer im Norden des Adria-Meeres bilden den Uebergang zur eigentlichen Geschichte, und deuten auf eine, bis in's fünfzehnte Jahrhundert vor Christus zurückreichende Bevölkerung der südlichen Länder der österreichischen Monarchie, deren verschiedene Stämme die Griechen mit dem allgemeinen Namen der Illy rier bezeichneten. Durch die Auswanderung keltischer Stämme aus Gallien um's Jahr 600 vor Christus erhielten die Alpenländer einen bedeutenden Zuwachs der Bevölkerung. Belloves stieg mit seinen kriegslustigen Kelten über die Alpen nach Ober-Italien, vertrieb die mit den Etruskern verwandten Rasener oder Rhätier aus dem Po-Thale in die Alpen, unterwarf Tusker und Ligurier und erbaute Mediolanum (Mailand). Die Römer nannten das Land Gallia cisalpina zum Unterschiede vom grossen Keltenlande jenseits der Alpen (Gallia transalpina). Belloves Bruder, Sigoves, zog mit anderen keltischen Schaaren in die Alpenländer. - So bedeutend war deren Menge, dass in Folge dieses Wanderzuges Kelten nicht nur die vorherrschende Bevölkerung in den Alpenländern und an der oberen und mittleren Donau bildeten, sondern dass der mächtige Stamm der keltischen Bojer auch über die Donau in den hercynischen Wald eindrang, die Strecken an der Moldau und Elbe lichtete, und sich zwischen dem heutigen Erz-, dem Riesengebirge und dem Böhmerwalde niederliess. Der Name dieser neuen Bojer-Heimat: Bojohemum, blieb mit gerin ger Veränderung (Bohemum, Böheim, Böhmen) dem Lande ungeachtet des mehrfachen Wechsels seiner Bevölkerung bis auf den heutigen Tag. Andere keltische Stämme, die ebenfalls - vielleicht seit diesem gallischen Auswanderungszuge in die Alpen kamen, und wahrscheinlich mit einer bereits vorgefundenen stammverwandten illyrischen Bevölkerung der Alpenländer sich verschinolzen, waren: dieTaurisker (später Noriker genannt) in den norischen Alpen, die Halaunen und die Ambisontier an der Salza, die Ambidraver an der obern Drave, die Karner in den karnischen und julischen Alpen (im jetzigen Friaul, in Kärnthen und im Thale der oberen Save), die Monocateni und Catali auf dem Karste, die Suboerini und Secusses in Istrien, die Azaler, Kytner, Arravisker, Herkuniater, Bathanater und Skordisker in Pannonien. Als die römischen Adler siegreich längs des Ister's aufgepflanzt und die Alpenund Süd-Donau-Länder unter dem Namen Rhätien, Vindelicien, Noricum und Pannonien als römische Provinzen eingerichtet wurden, wohnten in den Nord-Donau-Ländern der jetzigen österreichischen Monarchie: Markomannen und Quaden (im heutigen Böhmen, Mähren und Ungern bis zur Gran), die sarmatischen Jazyger (zwischen Donau und Theiss), dann Daker und Geten im heutigen Siebenbürgen, in der Walachei und Moldau. Trajan dehnte die römische Herrschaft auch über die Donau aus, indem er die Daker nach verzweifelter Gegenwehr unter ihrem Könige Decebalus besiegte und Dacien zur römischen Provinz machte. Obwohl Hadrian und Aurelian nach kaum 170 Jahren die Provinz nördlich der Donau (Dacia Trajana) wieder aufgaben und die römischen Besatzungen und Provinzialisten an's südliche Donauufer (Dacia Aureliana) übersetzten, so scheint doch die durch ursprüngliche Stammes-Verwandtschaft wesentlich geförderte Romanisirung der dacischen Provinzen oder richtiger die Assimilirung der unausgebildeten dacischen mit der verwandten, jedoch ausgebildeten römischen Sprache so vollkommen erfolgt zu sein, dass, ungeachtet der spätern gothischen, bulgarischen, kumanischen und magyarischen Oberherrschaft das römischdacische Element noch das vorwiegende in der Sprache der Romanen (Rumänen, Walachen) blieb. Nach dieser Ansicht sind die Walachen Abkömmlinge romanisirter Daker, und zum Theile auch römischer Provinzialisten. S. 2. Die Völkerwanderungs-Zeit (Germanische, hunnische und slavische Stämme). Die Einfälle der verbündeten Markomannen, Quaden, Herm unduren, Gothen und anderer deutschen Volksstämme, sowie der Jazyger und mehrerer sarmatischen Stämme, waren nur das Vorspiel der grossen hunnisch-germanischen Völkerwanderung, welche neue Volks-Elemente in das heutige Gebiet der österreichischen Monarchie brachte. Der Uebergang der Hunnen über die Wolga (Atel), im Jahre 376, hatte die grosse Völkerbewegung eröffnet; die Ostgothen wurden unterworfen, die Westgothen flohen in's byzantinische Reich. Atila gebot von seinem Hoflager zwischen der Donau und der Theiss über die skytisch-germanischen Völker. Sein Zug nach Italien gab den Anlass zur Gründung Venedig's, indem die Bewohner von Aquileja und anderer benachbarten Städte auf den Inseln der Lagunen Zuflucht suchten. Nach Atila's Tode (Jahr 453) schwand sein Reich mit dem Arme, der es geschaffen. Deutsche Stämme wurden in demselben herrschend: die Gepiden in Dacien, die Ostgothen in Pannonien, Alemannen, Heruler, Scyrren, später (590) auch Bojoarier (Bayern) in Noricum und Rhätien. Zwischen Donau, Thaya und March setzten sich am Mannhartsgebirge (luna sylva) im Rugiland (Oesterreich unter der Enns im Norden der Donau) die Rugier fest, welche beim Abziehen der Ostgothen auch über die Donau vorrückten. Theodorich, König der Ostgothen, herrschte nach Besiegung Odoaker's nicht nur über Italien, sondern auch über die Alpenländer bis an die Donau (493-526). Alemannen wurden unter ihm in Rhätien aufgenommen, daher ward nach dem Verfalle der ostgothischen Herrschaft der westliche Theil Rhätien's mit dem Herzogthume Alemannien, der östliche mit dem Herzogthume Bojo arien vereinigt. Wichtig für die ethnographische Gestaltung der Monarchie wurde das Vordringen der Langobarden von der Elbe an die Donau, und die Niederlassung derselben im Flachlande („Feld“) von Pannonien (526–568), ihr Verweilen, sowie ihre hierauf erfolgte Festsetzung in Italien; denn die Langobarden waren die letzte nach Süden dringende germanische Völkerwoge, welcher die slavische Völkerströmung folgte. Die Čechen hatten als die Vordersten das von den Langobarden geräumte Land Böhmen besetzt (um's Jahr 500). Die Abtheilung der Čechen (Bohemi), welche an der March sass, unterschied man später (seit 822) unter dem besonderen Namen der Mährer (Moravani oder Marahani). Auch an der Donau aufwärts scheinen vor oder mit den wilden A waren die slavischen Stämme der Slovenen oder Wenden angelangt, und bei dem Abzuge der Langobarden aus Pannonien nach OberItalien (der Lombardie) bis an die Quellen der Drau und nach Istrien vorgeschoben worden zu sein. Die Awaren waren nicht nur herrschend in Dacien und Pannonien, sondern drangen auch bis zur Enns vor; die slavischen Stämme innerhalb ihres Gebietes wurden grausam von ihnen gedrückt. Eine vorübergehende Befreiung von diesem Joche bewirkte die Vereinigung mehrerer slavischer Stämme (der Böhmen, Mährer, Wenden und anderer unter Samo um's Jahr 630). Auch die Einwanderung der Kroaten (Chrobati 1) oder Gebirgsstämme) und Serben (d. i. Verbundenen) aus Gross-Kroatien und Gross-Serbien (im Norden der Sudeten und Karpathen), mit Genehmigung des Kaisers Heraklius (um 640) in's byzantinische Dalmatien und nach Pan 1) Man hält sie identisch mit den alten Karpathenbewohnern, den Karpi oder Karpiani (Chrby) der Alten und glaubt Reste der einstigen Gross-Kroaten in den (jetzt polonisirten) Goralen zu finden; auch die Boiker in Galizien sollen noch in der Heimat Boiki wohnen, wo Konstantin Porphyrogenita die Sitze der Serben andetuete. nonien (Pannonia savia), schwächte die Macht der Awaren im Süden der Drave und Save. Völlig gebrochen wurde jedoch die awarische Herrschaft erst durch Karl den Grossen. §. 3. Karolinger Zeit. (Gründung der Ostmark. Verkümmerung des keltisch-römischen Sprachelementes im Norden der Alpen.) Im Jahre 791 vertrieb Karl der Grosse die Awaren von der Enns bis zur Raab, und ordnete das eroberte Land als Ostmark (Marca orientalis, Hunnia-Avaria). In fortgesetzten Feldzügen wurde die Ostgränze des karolingischen Reiches bis an die Theiss ausgedehnt (796). Die Awaren und Slaven, welche unter ihren Chanen, Banen und Herzogen in Pannonien zurückgeblieben waren, wurden unter die Aufsicht der fränkischen Markgrafen gestellt, und gingen allmälig zum Christenthume über; so noch zu Zeiten Karl's des Grossen (805) der awarische Tudun, und im Jahre 830 Privinna, welcher aus Mähren herüberkam und das Gebiet am Sala-Flusse zu Eigen erhielt. Zahlreiche bayrische, fränkische und selbst sächsische Colonisten langten unter den karantanischen Wenden, sowie unter den pannonischen Awaren, Mährern und andern Slaven an, und verbreiteten nebst dem Christenthume auch die Cultur des Landes und der Sitte. Städte, Burgen und Colonien entstanden nicht nur in der Ostmark: Medelica (Melk), Wieselburg, Tulln, Zeiselmauer, Königstätten, Haimburg und andere, in Karantanien : Moosburg, die Pfalz und Residenz der Karolinger, dann Karnburg, Sachsenburg etc. und in Pannonien die Moosburg am Plattensee der Sitz Privinna's, Salapiugin, Fünfkirchen etc., sondern selbst das Land zwischen der untern Save und Drave (Sirmien) wurde von den Byzantinern Frankenland (Francochorion) genannt. Auch über Liburnien (fränkisch Kroatien) herrschte Karl der Grosse, wodurch wenigstens vorübergehend deutsches Element in diese Gegend verpflanzt wurde. Durch diese neuen deutschen und slavischen Volksstämme waren die alten keltisch-römischen Sprach - Elemente in jenen Ländern allmälig verkümmert. Der Donaulimes war bereits auf Befehl Odoaker's im Jahre 488 von den römischen Besatzungen verlassen worden. Länger hielten sich römische Provinzialisten in Rhätien und in Mittel-Noricum. Zu Theodorich's Zeit bestand noch die Militia der Breonen (Breoni) zur Aufrechthaltung der Ordnung in Rhätien, und Paul Diacon (im achten Jahrhundert) sagt, dass in beiden Rhätien noch eigentliche Rhätier (proprii Rhätii) wohnten. In einigen norischen Gauen werden die römischen Provinzialisten noch im achten Jahrhunderte urkundlich von den übrigen Bewohnern derselben unterschieden. Die Namen Wels, Welsberg, Wals, Wallersee, Walchengau, Strasswalchen etc. erinnern noch an die wälschen (römisch-keltischen) Bewohner der oberösterreichisch-salzburgischen Gegenden, und die tributären „Romani“ und „Romanenses" zu Zeiten Herzog Theodo's in den bayrischen Urkunden, deuten noch auf jene Provinzialisten hin. Auch im Aberglauben der Alpenbewohner hat sich noch manche Spur keltisch-romanischen Heidenthums kenntlich erhalten und die Namen der höchsten Gebirge und mancher Gebirgsbäche, sowie manche andere Localnamen erinnern den jetzigen deutschen hen und slavischen Bewohner, dass er auf nicht urheimatlichem Boden stehe. Die karnischen Alpen und die mehrfachen Tauern erheben sich als grossartige stumme Zeugen des keltischen Volkes der Karner und Taurisker, und auch die häufigen Gebirgsbenennungen: Alm (Alp, verwandt mit mons albius, Schneegebirg), Kar (Felsmulde), Tor und Taur (Hochgebirg) dürften keltischer Abkunft sein, vielleicht auch die Bergnamen Pirn (Pyrn) und Pyrgas, Verwandte des Brenner (Mons Pyrenæus) und der Pyrenaeen, Tonion, Donigstein u. a. Auch die Donau (Don+awa), die Namensverwandte des Don und des Donetz, der Düna, des Dunajec, der Rhone (Rhodanus) und des Eridanus, bezeugt eben so, wie die Namen mehrerer ihrer Nebenflüsse: March (Mar-us, Mor-ava), Marosch (Mar-os), des Inn (En, Oenus) etc., den vorrömischen, vorgermanischen und vorslavischen Ursprung, und manche Bergströme rauschen mit uns unverständlichen vielleicht keltisch-illyrischen oder rhätischen Namen. Am häufigsten kommen wohl keltische Wurzelworte, z. B. Hall (hál, Salzgrund), Dun (Hügel), Kel (Stein), Klamm (Glambus, Schlucht, Spalte), Mur (Moor), Gan (Gestein, Felstrümmer, Gerölle), Wal (Wel, Gal) etc., nebst den oben angedeuteten Benennungen: Kar, Taur (Tor) u. s. w. in den norischen und an der Nordseite der rhätischen Alpen vor, während an den Südabhängen des Brenner in Tirol etruskische (rasenische) Stammworte uns an die alten Rhätier erinnern 1). Die oberitalischen Dialecte gestalteten sich, bei dem Verfalle der lateinischen Sprache durch die Entwicklung der altitalischen und gallischen Idiome im sechsten und siebenten Jahrhunderte, obgleich sie durch die im zwölften und dreizehnten Jahrhunderte mehr aus den südlichen Mundarten entwickelte italienische Schriftsprache und andere spätere fremde Einflüsse manche Umbildung erlitten. Deutlich vernehmbar aber lebt das keltisch-römische Sprachelement - obwohl mit andern Lauten und Formen vermischt an den Südabhängen der karnischen Alpen, dem Sitze des alten Keltenvolkes der Karner, in der friaulischen Mundart fort"). 1) Die genaue Scheidung von keltischen und rhätischen Localwurzeln fällt um so schwerer, als manche Wurzelwörter in mehreren Ursprachen analog sind, z. B. Taur (Tur, Tor) heisst im Keltischen Hochgebirg, aber auch das rasenische Tar (Taur, Tur), das arabische Taur, das syrische Tur und das hebräische Zur bedeuten Gebirg; Kar (Kor, Karn) im Keltischen: Fels oder Felsmulde, hat Analogie mit dem rasenischen Kar, vielleicht auch mit dem griechischen pog, und dem slavischen Hor (Gora); das keltische Hal (Salz) ist verwandt mit dem griechischen άλç (áλoç), mit dem lateinischen Sal, mit dem deutschen Salz und dem slavischen Slan; Dun (Don, Daun), Woge, Hügel, hat ein Analogon im Altdeutschen: Dûn (Don, Dan), Anhöhe, und der Ausdruck: donleg (bergab, schief), ging in die Bergwerkssprache über. Die Wortformen sind aber durch die Reihe von zwei Jahrtausenden so vielen Veränderungen im Munde fremder (römischer, deutscher und slavischer) Völker unterlegen, dass auch hieran nur selten ein richtiges Kriterium zu knüpfen ist. Einige Ergänzung gewährten die Fortschritte der Archäologie, auf deren Standpuncte man keltische, rasenische (rohhetrurische), römische, germanische, hunnische und slavische Alterthümer unterscheiden, und hiernach die Wohnsitze dieser Völkerstämme sichten kann (Mehr hierüber bei den einzelnen Kronländern, besonders bei Tirol). *) Die Verwandtschaft des Keltischen einerseits mit demRömischen, andererseits mit den germanischen Sprach-Elementen mag die Ausprägung dieses romanischen Idioms gefördert haben. Das keltische Element ist insbesondere vorwiegend in dem sogenannten „carnielischen“ Dialecte oder der Mundart des friaulischen Gebirgslandes. |