DEUTSCHES DANTE-JAHRBUCH NEUNTER BAND HERAUSGEGEBEN VON HUGO DAFFNER WEIMAR 1925 VERLAG DER DEUTSCHEN DANTE-GESELLSCHAFT IN KOMMISSION BEI R. WAGNER SOHN IN WEIMAR T24-18209 W VORWORT enn sich das heurige Jahrbuch nicht in solch stattlichem Umfange bietet wie das vorige, so ist das von verschiedenen Umständen verursacht. Einmal lasten natürlich, wie überall, so auch auf uns die wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Zeit; dann war vorgesehen, diesmal die allumfassende deutsche Dantebibliographie zu bringen, eine Riesenarbeit, die der Bearbeiter bis zur Drucklegung des Buches noch nicht bewältigen konnte, sodaß sie nun also im nächsten Band erscheinen wird. Diese Verlegung hat die Möglichkeit gegeben, die im vorigen Jahrbuch begonnene Bibliographie der Proben deutscher Übersetzungskunst weiter und wie versprochen gewissermaßen bis heute zu Ende zu führen. Einige neue Übersetzungen der Francesca-Stelle haben sich gefunden; über Leistungen von Komödie-Übersetzern, die diese Stelle umgingen, unterrichten vierundzwanzig Proben aus anderen Teilen des Göttlichen Gedichts. An die Übersetzung des berühmten fünfzehnten Sonetts aus dem sechsundzwanzigsten Kapitel des Neuen Lebens haben sich mehr als dreißig Nachdichter gemacht, und wer nicht dieses Sonett, sondern ein anderes übertrug, ist ebenfalls mit einer Probe vertreten. So gibt die hier gebotene Zusammenstellung von Nachdichtungsproben im Verein mit der im vorigen Bande gebrachten Francesca-Stelle einen ziemlich lückenlosen Überblick über das, was deutsche Übersetzungskunst von ihren Anfängen an bis jetzt für Dante geleistet hat. Ich wiederhole die bereits im vorigen Jahre ausgesprochene Bitte an alle Dante-Übersetzer, mich von ihren neuen Arbeiten zu unterrichten und mir Proben zur weiteren Ergänzung dieser Übersetzungsbibliographie zukommen zu lassen. Weiterhin freut es mich sehr, diesmal nicht nur Proben älterer und neuerer deutscher Übersetzungskunst bieten zu können, sondern durch die hochherzige Zuwendung des Herrn L. Zuckermandel-Berlin in der Lage zu sein, unseren Mitgliedern seine bedeutsame jüngste Übersetzung von Dantes Hölle, die gerade die Presse verläßt, als Gruß zum Fest überreichen zu können. Berlin-Friedenau, 3. Dezember 1925 Hugo Daffner Seite Vorwort Die Wege von Thomas von Aquin zu Dante. Von Martin Die drei Tiere. Von Ferdinand Koenen. Einige Anmerkungen zum fünften Gesang der Hölle. Von Galeotto in einem frühen Schweizer Roman. Von Hugo Fichte als Dante-Übersetzer. Von Hugo Daffner Über die Wesensähnlichkeit zwischen Beatrice und der »Donna gentile« nach Dantes Vita nova und Convivio. Erlebnis und Allegorie in Dantes Commedia (Schluß). Bücherschau. Von Hugo Daffner.. Zur deutschen Dante-Bibliographie (Fortsetzung). Von III DIE WEGE VON THOMAS VON AQUIN ZU DANTE FRA REMIGIO DE' GIROLAMI O. Pr. Festvortrag, gehalten bei der Hauptversammlung der Neuen Deutschen Dante-Gesellschaft am 21. September 1924 von UNIVERSITÄTSPROFESSOR DR. MARTIN GRABMANN Die ie Frage nach den Quellen Dantes, nach dem Zusammenhang seiner Gedankenwelt vor allem mit der Philosophie und Theologie des 13. Jahrhunderts ist in deutschen Landen zuerst durch Philalethes (König Johann von Sachsen) gründlich und ernsthaft in Angriff genommen worden, der in einer Zeit, da Kenntnis und Verständnis der Scholastik bei uns erst in den Anfängen war, die Beziehungen der göttlichen Komödie zu Thomas von Aquin, besonders zur thomistischen Psychologie beleuchtete. Um dieselbe Zeit hat in Frankreich F. A. Ozanam Dante in seiner Beziehung zur katholischen Philosophie des 13. Jahrhunderts betrachtet und in Bonaventura und Thomas die großen philosophischen und theologischen Inspiratoren des Dichters gesehen1). Er hat dabei allerdings manches dem seraphischen Lehrer, so das Hugo von Straßburg zugehörige » Compendium theologicae veritatis<< zugeteilt, was nicht sein Werk ist. Es lag in Zeiten, da man die gewaltige Differenzierung im scholastischen Denken noch nicht geschichtlich erkannt und so Thomas als Typus einer als im wesentlichen gleichartig und einförmig aufgefaßten Scholastik galt, nahe, daß man von vornherein in den Schriften des Aquinaten die philosophische und theologische Hauptquelle Dantes sah. Im Jahre 1869 hat Francesco Palermo in einer Studie in dieser Richtung die Verbindungslinien gezogen 2). Auch der als Kunsthistoriker bekannte Dominikaner Vincenz o Marchese hat den Satz ausgesprochen, daß die theologische Summa des hl. Thomas und die göttliche Komödie unter 1) F. A. Ozanam, Dante und die katholische Philosophie des 13. Jahrhunderts. (Deutsche Übersetzung.) Münster 1858. 2) Fr. Palermo, San Tommaso, Aristotele e Dante. Firenze 1869. 1 Dante-Jahrbuch IX. Band I |